Pastor Jürgen Probst über das Sterben in Würde, christliche Rituale und die gesellschaftliche Entfremdung vom Tod

Pastor Jürgen Probst war 20 Jahre Gemeindepastor und ist ausgebildeter Trauer- und Sterbebegleiter. Seit 1999 ist er Seelsorger in Altenpflegeheimen.

Hamburger Abendblatt:

Was braucht der Mensch am Lebensende?

Jürgen Probst:

Das ist sehr unterschiedlich, aber meist tut es gut, wenn Menschen, die diesem Sterbenden nahestehen, ihn auf diesem letzten Weg begleiten. Es ist hilfreich, wenn man im Frieden mit sich ist und eine Hoffnung hat über den Tod hinaus.

Die meisten Menschen sterben im Krankenhaus oder im Altenheim. Für viele ist das eine Horrorvorstellung. Ist das berechtigt?

Probst:

Ich weiß, dass sich das Pflegepersonal in Altenpflegeheimen sehr viel Mühe gibt, die Menschen mit Würde zu begleiten. Aber in der Realität ist es schon so, dass nicht genügend Zeit da ist, am Bett zu sein und dann diesen Menschen das zu geben, was ihnen guttut.

Also ist zu Hause sterben immer besser?

Probst:

Wenn dann dort Menschen sind, die einen begleiten, auf jeden Fall. Aber einsam zu Hause sterben ist auch schrecklich. Ich glaube, dass es gut ist, eine gewisse vertraute Atmosphäre um sich zu haben.

Was gehört für Sie zur Würde des Sterbens, egal wo jemand stirbt?

Probst:

In Würde sterben heißt, dass man alles versucht, dem Sterbenden in dieser schweren Situation ein Wohlgefühl zu vermitteln und auf seine Wünsche einzugehen. Das kann sein durch Musik oder Gespräche. Ich finde es wichtig, dass die Angehörigen sich Zeit nehmen für den Abschied.

Warum ist es so wichtig, persönlich Abschied zu nehmen?

Probst:

Ich rate schon dazu, weil es hilft, sich die Realität des Todes klarzumachen. Man kann sich an den Toten erinnern und vielleicht mit ihm sprechen, ihm sagen, was man ihm gern noch gesagt hätte. Ich begrüße auch kleine Liebesdienste für den Toten. Man kann ihn zum Beispiel schön einkleiden.

Die Schwester meiner Schwägerin hat diese auf dem Totenbett mit ihrem Lieblingsparfüm eingesprüht, das war wunderschön.

Was passiert bei einer Aussegnung und was sind typisch christliche Rituale, die man am Totenbett feiert?

Probst:

Es gibt eine Aussegnungsformel, man kann ein Vaterunser sprechen oder ein Gebet und einen Segen für die, die zurückgeblieben sind. Man kann mit einem Salböl ein Kreuzeszeichen auf die Stirn des Toten machen.

Erleben Sie noch das Ritual der Totenwache?

Probst:

Nicht oft, aber es tut denjenigen gut, wo es gehalten wird. Ich wurde einmal zu einer Familie gerufen, in der ein junger Mann mit Anfang 20 im Krankenhaus an Krebs gestorben war. Sie hatten ihn nach Hause geholt und im Wohnzimmer aufgebahrt. Die Familie hat 24 Stunden mit diesem Toten dort gelebt, es sind Freunde vorbeigekommen, und sie haben auch dort gegessen. Dann habe ich dort eine kleine Aussegnung gefeiert, und das war sehr berührend, auch für mich.

Finden Sie, Institutionen sollten Rahmenbedingungen schaffen, um einen würdevollen Abschied zu ermöglichen?

Probst:

Ich glaube, dass es einen Bedarf für mehr Abschiedsräume gibt. Denn es kommt vor, dass ein Gestorbener in einem Mehrbettzimmer liegt. Dort kann man nicht ungestört Abschied nehmen. Dazu braucht man einen geschützten Raum, in dem man sich nicht der Gefühle schämen muss, die man hat.

Warum schämen sich Menschen denn oft ihrer Trauer-Gefühle?

Probst:

Ich glaube, es hat was damit zu tun, dass sich überhaupt viel geschämt wird, wenn man Gefühle offen zeigt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der man funktionieren muss, wo Leistung gefragt ist, und da sind Gefühlsausbrüche, gerade auch Trauer, für viele eine Art Störung.

Wir sind sehr entfremdet vom Tod, viele haben noch nie einen Toten gesehen. Denn es wird ja seltener zu Hause gestorben.

Das war früher anders, gerade auf dem Dorf gehörte es zum Alltag, auch das Abschiednehmen vom Toten im Trauerhause. Es ist ja heutzutage dieses Phänomen erstaunlich, dass dort, wo in der Öffentlichkeit jemand gestorben ist, durch einen Verkehrsunfall oder ein Verbrechen, Blumen hinterlegt und Grablichter hingestellt werden. Ich glaube, es ist für viele Menschen ein Ventil, ihre sonst unterdrückte Trauer an solchen Orten zeigen zu können.

Häufig war ja das Verhältnis zwischen den Verstorbenen und den Hinterbliebenen sehr gespannt, wie kann man mit solchen zwiespältigen Gefühlen gut umgehen?

Probst:

In so einem Fall finde ich es wichtig, dass man dem Toten dann auch sagt, wie man sich fühlt. Und dass man ihm auch noch mal sagt: Da bin ich dir sehr böse gewesen. Man kann den Gestorbenen auch um Verzeihung bitten, wenn man seine eigenen Fehler in der Beziehung kennt.

Grundsätzlich finde ich es wichtig, sich davon zu lösen, was an Trauerbezeugungen scheinbar richtig ist. Man sollte dem folgen und das ausdrücken, was im eigenen Bauch oder im eigenen Herzen vor sich geht.