Der zweifache Hockey-Olympiasieger Tobias Hauke studiert auch noch Wirtschaft. Wie seine Sportkollegen braucht er vor allem viel Disziplin

Noch ist Tobias Hauke ganz entspannt. In Kapuzenpullover und mit umgedrehter Schirmmütze sitzt er in einem Café am Mühlenkamp, trinkt heiße Schokolade ohne Sahne und einen Orangensaft und erzählt, dass er es entgegen seinen Gewohnheiten geschafft hat, mal zwei Wochen gar nichts zu tun. Füße hochlegen, die Seele baumeln lassen, abschalten. Er hat keinen Sport getrieben im Kurzurlaub auf Sylt. "Ich habe mich bewusst dazu gezwungen", sagt der 25-Jährige, für den ein Tag ohne Bewegung eigentlich ein verlorener Tag ist. Er wollte verarbeiten, was er in den Wochen zuvor erlebt hatte, den Erfolg reflektieren.

Hauke ist in London mit der Hockeynationalmannschaft Olympiasieger geworden, zum zweiten Mal schon. Viel Zeit bleibt ihm nicht, um sich die Besonderheit dieses Erfolges zu bewahren, denn jetzt, nur wenige Wochen später, gilt seine ganze Konzentration dem nächsten großen Ziel: Der zweimalige Olympiasieger, Vizeweltmeister und U-23-Welthockeyspieler des Jahres 2010 ist ganz nebenbei auch Wirtschaftsstudent und muss für seinen Abschluss lernen. Zwei Klausuren stehen an, Ende Oktober und im November, danach die Bachelorarbeit, für die er acht Wochen Zeit hat. Im Februar wäre er gerne fertig. Zwischendurch trainiert er täglich, häufig zweimal, und im Dezember steht möglicherweise schon wieder die Champions-Trophy in Australien an. Während der Klausurenzeit lernt er sehr viel, oft von 10 Uhr morgens bis in die Nacht, nur unterbrochen von den Trainingseinheiten.

Ähnlich wie Tobias Hauke ergeht es auch anderen Leistungssportlern an der Hamburger Universität. Florian Fuchs und Nicolas Jacobi, Nationalmannschaftskollegen von Hauke, der Schwimmer Markus Deibler, mehrfacher Europameister und bei den Olympischen Spielen in London ebenfalls am Start, die Ruderer Lars Wichert, Bronzemedaillengewinner, und Lauritz Schoof, der in London mit dem Vierer Gold gewann, sowie die Hockeyspielerinnen Jana Teschke, Kristina Reynolds und Céline Wilde, deren Olympia-Auftritt bereits in der Vorrunde beendet war; sie alle versuchen, neben ihrer Leidenschaft, dem Sport, ein Studium abzuschließen. Erfolgreich Leistungssport zu treiben und ein guter Student zu sein, das erfordert nicht nur viel Disziplin, manchmal bedarf es auch der Unterstützung der Universität.

"Ich muss sagen, das läuft wirklich gut", sagt Lauritz Schoof, der in der Zeit nach den Olympischen Spielen erst mal lernen musste, mit dem Trubel um seine Person umzugehen. Bei Ruderern ist die Aufmerksamkeit normalerweise nicht so groß, als Olympiasieger sieht das schon anders aus. "Es war zum Teil etwas anstrengend, aber natürlich auch sehr erfreulich", sagt der 21-Jährige. Anstrengend auch deshalb, weil er nach seiner Rückkehr aus London zunächst ein dreiwöchiges Praktikum in dem Hamburger Forschungszentrum Desy (Deutsches Elektron Synchrotron) absolvieren und sich mit Teilchenbeschleunigung und Thermodynamik auseinandersetzen musste. Schoof studiert im dritten Semester Physik. Zeit für Urlaub hat der gebürtige Rendsburger nicht gefunden, seit Anfang Oktober sitzt er in seiner Hamburger Studenten-WG und lernt für eine Klausur, sechs bis sieben Stunden täglich. Er hat einen Nachschreibetermin bekommen, ohne einen Fehlversuch zu kassieren. "Ohne die Unterstützung der Professoren wäre das alles nicht möglich", sagt Schoof, der vor den Olympischen Spielen quasi gar nicht mehr an der Uni zugegen war. Er war zu viel unterwegs, auf Wettkämpfen, in Trainingslagern und immer wieder in Ratzeburg, wo die Ruderer ihren Stützpunkt haben.

"Ich habe das unterschätzt", gibt er zu. Drei harte Trainingseinheiten pro Tag und nebenbei die Konzentration hochhalten und komplizierte Rechenaufgaben lösen, das sei schon sehr anstrengend gewesen. Aber Schoof hat an der Uni von Anfang an mit offenen Karten gespielt und ist dafür belohnt worden. Er bekam die Möglichkeit, während eines Trainingslagers im Februar in Frankreich zwei Klausuren zu schreiben. Zeitgleich mit seinen Kommilitonen in Hamburg saß Lauritz Schoof am Goethe-Institut in Bordeaux und legte unter Aufsicht die Prüfungen ab. "Da bedarf es schon eines gewissen Vertrauens dem Studenten und den externen Aufsichtspersonen gegenüber", sagt der Hobby-Schlagzeuger, dem es fast etwas unangenehm ist, dass ihm so eine Ausnahme gewährt wurde. "Das funktioniert nicht mit jedem Institut." Doch die Professoren, die er alle eigenständig kontaktiert hat, unterstützen ihn, wo es nur geht. Ab und an wird er auch mal von einer Übung, eigentlich eine Pflichtveranstaltung, um für Klausuren zugelassen zu werden, befreit. "Der persönliche Kontakt war mir wichtig, und ich glaube, die Professoren wissen auch gerne, für wen sie das tun", sagt er. Zudem gehört Schoof zu den Studenten, die sehr früh sehr genau planen. Das erleichtert auch die Arbeit für den Olympiastützpunkt (OSP), wo die Laufbahnberaterin Britta Herrschaft und die Leiterin Ingrid Unkelbach sich für die Belange der Sportler an der Uni einsetzen.

Der OSP tritt auf Anfrage der Studenten in Kontakt mit Professoren, versucht Klausurtermine zu koordinieren und eine Flexibilisierung der Universität zu erreichen. "In den meisten Fällen finden wir eine Lösung", sagt Unkelbach. "Allerdings ist die Uni ein riesiger Apparat und die Zusammenarbeit von Fall zu Fall unterschiedlich. Die Studenten wollen nichts geschenkt, aber um nicht ein ganzes Semester zu verlieren, benötigen sie eben manchmal Unterstützung."

Bevorzugt behandelt werden Schoof, Hauke und die anderen nicht, sie müssen die gleichen Leistungen erbringen wie ihre Kommilitonen, benötigen die gleichen Scheine und die geforderten Leistungspunkte, um den Abschluss zu schaffen. Doch wenn es terminliche Probleme gibt, wenn aus dem Student Tobias Hauke der 195-fache Hockeynationalspieler wird, dann wird für ihn schon mal ein gesonderter Klausurtermin festgelegt - und eine neue Klausur entworfen. In Ausnahmefällen darf er anstatt einer schriftlichen Klausur eine mündliche Prüfung ablegen.

Doch manchmal ist trotzdem jeder Einsatz und jede noch so gute Planung umsonst. Céline Wilde, die Hockeyspielerin, wollte in der Vorbereitung auf das olympische Turnier gerne ein Feriensemester nehmen, um sich voll auf Hockey konzentrieren zu können, ohne ein Semester zu verlieren. Für Jurastudenten ist das wichtig, da die Möglichkeit besteht, die Examensnote in einem Zweitversuch zu verbessern. Allerdings nur, wenn man das Studium innerhalb von neun Semestern durchgezogen hat. Wilde muss auf diese Möglichkeit nun wahrscheinlich verzichten.

Die Uni war zwar einverstanden, dass die 22-Jährige ein Semester pausiert. Das Justizprüfungsamt am Oberlandesgericht, vor dem die Jurastudenten am Ende des Studiums ihr Staatsexamen ablegen, sah aber in der Olympiateilnahme keinen Grund für ein Feriensemester. "Die Uni und Frau Herrschaft, die Laufbahnberaterin, haben wirklich alles versucht, aber es war nichts zu machen", sagt Wilde, die sich nun darauf einstellt, dass sie vor dem Examen eben noch mehr lernen muss, um gleich eine gute Note zu bekommen. In der Examensvorbereitung wird sie wohl eine einjährige Nationalmannschaftspause einlegen.

Viele der Sportler denken in Zyklen. Sport und Uni bestimmen den Lebensrhythmus, große Turniere und Meisterschaften beeinflussen den Stundenplan und die Zeit, die zum Lernen aufgebracht werden kann. Die Professoren zeigen in den meisten Fällen Verständnis. Nicola Berg, Professorin am Lehrstuhl für strategisches Management der Uni Hamburg und Dozentin von Tobias Hauke sagt: "Wir wissen, wie eingespannt Tobias Hauke ist, und uns ist klar, dass er eine besondere Leistung vollbringt. Wir unterstützen die Studenten, die Leistungssport treiben, gerne, allerdings ist auch ein hohes Maß an Eigeninitiative gefragt."

Besonders was das Lernen angeht, sind die Sportler zumeist auf sich allein gestellt. Céline Wilde verbringt viel Zeit in der Bibliothek, wenn sie nicht gerade auf dem Hockeyplatz steht, Lauritz Schoof verschanzt sich zu Hause. Dass es in den Seminaren meistens keine Anwesenheitspflicht mehr gibt, kommt den Sportlern entgegen, hat aber zur Folge, dass sie sich den Lernstoff fast immer selbst beibringen müssen.

Ein normales Studentenleben, Zeit auf dem Campus und in der Mensa verbringen, gemeinsam mit Kommilitonen lernen, das kennen die meistens Leistungssportler nicht. Ab und an geht Hauke mal auf Studentenpartys, Freunde von der Uni hat er aber kaum, dazu verbringt er einfach zu wenig Zeit vor Ort. Anders ist das bei dem Ruderer Schoof. Sein Stundenplan weist fast 30 Semesterwochenstunden auf, und er versucht sich weitgehend daran zu halten. Dazu kommen knapp 20 Stunden Training.

Die Motivation zu studieren ist für die Sportler häufig dieselbe. Einen Ausgleich finden und die Zukunft in Angriff nehmen, weil von vornherein klar ist, dass vom Sport allein keiner von ihnen leben kann. Außerdem sind sie alle sehr ehrgeizig. "Mein Studium ist mit viel Aufwand verknüpft", sagt Hauke, "aber es bringt mir viel mehr Spaß, als ich vorher gedacht hatte."

Die Unterstützung der Uni wirkt zusätzlich leistungsfördernd. "Die Leistungssportler arbeiten zielgerichteter", sagt Haukes Professorin Berg. "Sie sind oft organisierter und haben konkretere Zeitpläne." Um die einzuhalten, lernt Hauke auch, wenn er mit der Nationalmannschaft unterwegs ist. "Das funktioniert aber nur, weil da fast alle studieren", sagt er. "Würden sich alle anderen nach dem Training an den Pool legen, könnte ich nicht lernen."

Er ist froh über seine Disziplin, die er über die Jahre entwickelt hat. Vielleicht mache er irgendwann noch seinen Master. Am Liebsten vor seinem letzten großen Turnier, den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Denn die Vorbereitung auf ein solches Event und die Vorbereitung auf einen Uni-Abschluss lassen sich in den meisten Fällen erfolgreich vereinbaren. Das haben viele der Olympiateilnehmer an der Uni in diesem Jahr bewiesen.