Die Hamburger Universität zählt zu den “exzellenten“ Hochschulen - wegen zahlreicher Forschungsinitiativen von internationaler Relevanz

Papier ist geduldig. Für Boryana Pouvkova, 35, und Andreas Janke, 33, hat diese Binsenweisheit eine besonders tiefe Bedeutung. Im Sonderforschungsbereich (SFB) 950 "Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa" mit Sitz an der Warburgstraße 26 holen die jungen Wissenschaftler unlesbare oder sogar unsichtbar gewordene Schriften oder Musik-Kompositionen mithilfe digitaler Fototechnik ans Licht. "Viele Manuskripte sind im Laufe der Jahrhunderte durch Feuer- oder Wasserschäden, Abnutzung und Zerfall stark entstellt", sagt Janke. Dank computergestützter Kamerasysteme könnten sie die Dokumente quasi bis in die tiefen Pergamentschichten hinein durchleuchten.

Besonders spannend sei die Erforschung der sogenannten "Palimpsest-Manuskripte", bei denen unter der lesbaren Oberfläche Spuren des getilgten Ursprungs-Textes liegen. "Im Rahmen einer Art ,Recycling' wurde die ursprüngliche Beschriftung in mühevoller Arbeit getilgt und das Pergament mit einem neuen Text beschrieben", erklärt Janke das Vorgehen. Häufig enthalten gerade die unteren Schriftschichten wahre Schätze.

Er selbst, Spezialist für Musikhandschriften, untersucht derzeit mithilfe seiner technisch versierten Kollegin Pouvkova das aus dem Jahr 1420 datierende Florentiner Palimpsest San Lorenzo 2211 aus der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz. Die ursprüngliche Musikhandschrift mit verschiedenen Werken italienischer Komponisten des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts wurde im 16. Jahrhundert gelöscht, über die feinen Abdrücke der Noten hat ein kirchlicher Schreiber mit schwarzer Tinte aus kratzender Feder die Besitztümer der florentinischen Kirche San Lorenzo aufgelistet.

Für die beiden Schriftdetektive besonders spannend ist die Entdeckung von bisher unbekannten Kompositionen der Komponisten Giovanni Mazzuoli, Piero Mazzuoli und Ugolino da Orvieto, die am Anfang des 15. Jahrhunderts als Organisten oder Sänger am Florentiner Dom tätig waren. Janke: "Wenn sie vollständig rekonstruiert sind, ist es eine Sensation. Denn diese Kompositionen sind in keiner anderen bekannten Quelle überliefert und gelten bisher als unlesbar."

Nicht weit entfernt von den Wissenschaftlern beugt sich Hochschulpräsident Dieter Lenzen, 64, in seinem Büro im 5. Stock am Mittelweg 177 über sehr gut lesbare Dokumente der Gegenwart. Vor dem Präsidenten der drittgrößten Alma Mater des Landes liegt der Statusbericht über die akademische Potenz der Universität. Sein zufriedenes Fazit: "Wir sind eine Volluniversität, die sich in allen Fächergruppen auf Spitzenpositionen vorgearbeitet hat. Das wollen wir stärker als bisher nach außen tragen."

"Bei aller Skepsis gegenüber Rankings", wie Lenzen betont, "wir müssen uns nicht verstecken." Dabei zieht der Erziehungswissenschaftler aus einem Stapel DIN-A-Seiten zielsicher das Papier mit dem Titel "Rankings und Ratings" heraus, das die Bedeutung der Universität Hamburg im internationalen Vergleich aus Sicht verschiedener Institutionen beziehungsweise Rankings beleuchtet.

Die beste Nachricht zuerst: Das "QS World University Ranking by Subject" ( www.topuniversity.com ), das unter anderem Kriterien wie den Akademischen Ruf oder das Standing bei den Arbeitgebern bewertet, hat die Uni Hamburg weltweit auf Platz 242 gesetzt. "Damit ist sie seit 2009 allein um 30 Plätze vorgerückt", sagt Lenzen.

Auch im Deutschen Vergleich hat sich die Hochschule von Platz 16 auf Rang 15 vorgearbeitet. Lenzen: "Damit rangieren wir unter den ersten zehn Prozent der insgesamt über 300 Deutschen Hochschulen und haben so einen hervorragenden Status."

Im Rating des DFG-Förderatlas, dem die Höhe der von der Uni eingeworbenen "Drittmittel" einer der größten Forschungsgemeinschaften Deutschlands zugrunde liegen, hat sich die Uni Hamburg um einen Rang auf Platz 20 verbessert. Die Attraktivität der Hochschule für ausländische Studenten zeigt sich vor allem am Listenplatz 18 im Ranking des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), das Stipendien ausländischer Studenten im Wert von 3,6 Millionen Euro finanziert hat.

Dass sich Deutschlands drittgrößte Universität (nach Köln und München) mit ihren rund 170 Studiengängen in nur drei Jahren in zahlreichen Rankings entscheidend verbessern konnte, liegt an vielen Aktivitäten der letzten Jahre: Die Fachbereiche entfalten ihre Kompetenz und Kreativität immer stärker in alle Bereiche der Gesellschaft hinein. Die vielfältigen Vorhaben reichen von der Stärkung internationaler Beziehungen zu Partner-Hochschulen im Ausland bis hinein in verschiedene Bereiche des städtischen Lebens - von der Kultur bis hin zur Politik. "Wir verzeichnen eine steigende Intensität an Leistungen, die sich auch öffentlich nach und nach bemerkbar macht", sagt Lenzen.

Beispiel Wirtschaft: Hier kooperiert die Universität Hamburg unter anderem im Fachbereich Physikalische Chemie mit mehreren Unternehmen auf dem Gebiet der Nanotechnologie, so zum Beispiel in den Bereichen Medizin, Kosmetik und Energie.

Das UKE testet derzeit den neuen, am Fachbereich Physik unter Leitung von Professor R. J. Dwayne Miller entwickelten Picosekunden-Infrarot-Laser (PIRL). Das Gerät soll in Zukunft eine minimal-invasive Chirurgie mit präziseren und gewebeschonenderen Operationen vorbereiten helfen. Gleichzeitig können Tumorzellen in intaktem Zustand entnommen und analysiert werden.

Beispiel Kultur: Wie die Wissenschaft den Kulturbetrieb beflügeln kann, zeigt sich an der Kooperation des Instituts für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation (IDGS) mit dem Ernst-Deutsch-Theater. Mit Unterstützung des Instituts wurde das Stück "Die Sippschaft" der britischen Autorin Nina Reine auf die Bühne gebracht, in dem es um die Identitätsfindung eines gehörlosen Jungen innerhalb seiner Familie geht. "Diese Zusammenarbeit soll auch dazu dienen, die besondere Welt der Gehörlosen und deren Probleme in die Gesellschaft zu tragen", sagt Gebärdendolmetscher und IDGS-Leiter Christian Rathmann (Porträt siehe Seite 3).

Beispiel Internationalisierung: Hier setzt die Uni Hamburg verstärkt auf Kooperationen mit ausländischen Hochschulen und wirbt aktiv um ausländische Studenten. Gerade hat eine Abordnung von Wissenschaftlern der Universität gemeinsam mit dem Präsidenten künftige Partnerhochschulen in den USA - alle Universitäten der ersten Liga, darunter Berkeley, Johns Hopkins und die New York University - besucht, um detaillierte Absprachen über die zukünftige Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Lehre zu treffen.

Beispiel "Sonderforschungsbereiche": Neben "Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa" sind zwei weitere dieser großen Forschungsverbünde im Jahr 2011 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligt worden: im Bereich der Physik "Lichtinduzierte Dynamik und Kontrolle korrelierter Quantensysteme", in der Medizin " Multi-Site Communication in the Brain - Funktionelle Kopplung neuronaler Aktivität im Zentralnervensystem". Als Sprecher dieser Projekte hat sich die Universität weitere Alleinstellungsmerkmale im Bereich der akademischen Forschung gesichert. Insgesamt ist sie damit an sechs Sonderforschungsbereichen führend und an vier weiteren als forschungsstarke Partnerin beteiligt.

Beispiel Politik und Gesundheitsökonomie: Seit seiner Gründung im Jahr 2010 gilt das Hamburg Center for Health Economics (HCHE) - gemeinsam betrieben von der Fakultät Wirtschaft- und Sozialwissenschaften und der medizinischen Fakultät - als größtes gesundheitsökonomisches Forschungszentrum des Landes. Unter Leitung von Prof. Jonas Schreyögg forschen 50 Wissenschaftler aus Medizin und Ökonomie zu Themen wie "Krankenhausmanagement" oder die ökonomischen Aspekte der Prävention. Ein Kernziel ist es, die steigenden Gesundheitskosten durch Erkenntnisse aus beiden Bereichen in den Griff zu bekommen.

Um Erfolg und Exzellenz auf verschiedenen Ebenen auch in Zukunft möglich zu machen, setzt Uni-Präsident Dieter Lenzen weniger auf die Politik denn auf eigene Ressourcen. "Wir haben bereits 90 Millionen Euro und damit ein Drittel unseres Gesamtbudgets aus Quellen außerhalb der Stadt eingeworben." An die enttäuschende Finanzierung durch die Stadt Hamburg sei das wissenschaftliche Personal seit Jahren gewöhnt. "Das hindert uns aber nicht, den eingeschlagenen Erfolgskurs aus eigener Kraft fortzusetzen."