Sein Wissen breitet Harunaga Isaacson gern und mit großer Selbstverständlichkeit aus. Der Alt-Indologe und Leiter der Abteilung Indien und Tibet des Asien-Afrika-Instituts hat alle Tische und Stühle seines Büros mit Stapeln von Papier und Fachliteratur bedeckt. Noch lieber teilt der 47 Jahre alte Sprachgelehrte seinen geistigen Schatz mit seinen Studenten und Doktoranden. Isaacson zählt zu den weltweit größten Kennern und Forschern auf dem Gebiet der altindischen Sprache (Sanskrit). Indem er jahrtausendealte Dokumente übersetzt und deutet, entreißt er verschüttetes Wissen versunkener Kulturepochen dem Vergessen.

Das aktuelle Objekt seiner Forschung flimmert auf dem Bildschirm seines Laptops: Zwei Balken mit ausgefaserter Umrandung, eng beschrieben mit Sanskrit-Zeichen, sind derzeit sein Entzücken. "Das ist eine 1000 Jahre alte tantrische Handschrift aus Nordindien oder Nepal, die uns die Universität Cambridge für viel Geld zur Verfügung gestellt hat", sagt Isaacson. Er spricht hastig, oft überschlagen sich seine Worte vor Begeisterung, wenn er über seine Arbeit spricht. Fast jeden Satz beendet Isaacson mit einem Lachen.

"Hier", sagt er und zeigt auf eingesprenkelte helle Flecken des Dokuments - "das ist das Werk von Insekten." Was der Text bedeute? Sein Grinsen wird verschmitzter. "Das ist eine tantrische Tafel." Der Text sei eine Einführung in die buddhistische Interpretation des Tantra, "die sehr viele erotische Elemente" enthalte. Wenn ich es genau wissen wolle: Bald läge eine Übersetzung vor.

Das gut konservierte Dokument ist nur ein winziges Teil eines Puzzles bisher unerforschten Wissens. Zwischen fünf und 30 Millionen solcher Schriften auf Palmblättern, Birkenrinde oder Papier harren Schätzungen zufolge in Bibliotheken oder Klöstern Indiens, Nepals, Pakistans oder Tibets ihrer geistigen Auferstehung. Denn Sanskrit sei, so Isaacson, für ihn die schönste Sprache überhaupt, voller Poesie und Tiefe - und mit dem Deutschen durchaus verwandt. "Beide Sprachen zeichnen sich durch viele zusammengesetzte Hauptwörter aus."

Um das sprachliche Erbe Alt-Indiens zu retten, führen Isaacson und seine Kollegen einen Kampf gegen die Zeit und die indische Bürokratie. "Es ist sehr schwer, in den Ursprungsländern an solche Schriften zu kommen." Auch der Befall durch Schädlinge sowie eine unsachgemäße Lagerung der Dokumente ließen verzweifeln. Gottlob gebe es viele Handschriften an englischen Universitäten und Bibliotheken anderer Länder, sogar in Hamburgs Staats- und Universitätsbibliothek.

Neben der Forschung widmet sich Isaacson mit großem Elan der Lehre, einer kleinen Gruppe von Studenten. "Sanskrit ist nun einmal ein ,Orchideenfach', nur wenige Gelehrte weltweit beherrschen noch die altindische Sprache." Schon deshalb hält er in Hamburg die Fahne hoch. Acht Stunden pro Woche nehmen die Vorlesungen in Anspruch, dazu kommt täglich eine Gruppenarbeit mit seinen elf Doktoranden, von denen viele aus Japan, China oder Korea stammen. "Unser Institut genießt weltweit einen hervorragenden Ruf", sagt Isaacson, dem eine internationale Karriere als Wissenschaftler quasi in die Wiege gelegt wurde. Sein Vater, ein US-Amerikaner mit japanisch-russischen Wurzeln, war Professor für japanische Sprache in den USA und Japan. Isaacson studierte nach dem Abitur Philosophie und Indologie. 2005 promovierte er "cum laude" an der Universität in Leiden über "eine alte Schule der indischen Philosophie". 2006 ließ er sich als Nachfolger des Sanskrit-Gelehrten Prof. Albrecht Wetzler, seines Vorbildes und Förderers, endgültig in Hamburg nieder.