An der Universität Hamburg arbeiten engagierte Forscher an spannenden Projekten. Hedda Möller (Text) und Heiner Köpcke (Fotos) stellen drei von ihnen und ihre Arbeit vor

Christian Rathmann: Der erste gehörlose Professor Deutschlands

Das Interview mit Christian Rathmann fand per Mail statt. Nicht weil eine Konversation mit dem "ersten gehörlosen Professor Deutschlands" nicht möglich gewesen wäre. Ein hinzugezogener Gebärdensprachdolmetscher hätte seine Antworten übersetzt. Doch der Leiter des Instituts für Deutsche Gebärdensprache (IDGS) hatte viel um die Ohren. "Ich fliege gleich für ein paar Wochen nach Wien und Graz", schreibt der 42-Jährige, aber "Fragen beantworte ich gern schriftlich."

Christian Rathmann ist ein gefragter Mann. Wer den 1970 in Erfurt geborenen Wissenschaftler am IDGS erlebt hat, an das er im Jahr 2008 als Universitätsprofessor für Gebärdensprache berufen wurde, ist beeindruckt von der Ruhe und Konzentration, mit der er sich seinen vielen Aufgaben widmet. Nach einem Seminar stellt er sich den gestenreichen Fragen seiner Studenten. Leise geht es nur vordergründig zu, die Emotionen spiegeln sich in den Gesichtern und der Vehemenz der Gebärden.

Neben der Verwaltungsarbeit am Institut, die viel Zeit in Anspruch nimmt, widmet sich der Wissenschaftler am liebsten der Forschung, vor allem im Dienst der fast 80 000 Gehörlosen in Deutschland. Im Vordergrund steht sein Langzeitprojekt, ein "korpusbasiertes elektronisches Wörterbuch", das die Deutsche Gebärdensprache in mindestens 6000 Gebärdeneinträgen aufzeichnet. Seit jeher plädiert Rathmann für eine "bilinguale Erziehung" gehörloser Kinder. "Neben der Gebärdensprache als Erstsprache ermöglicht erst die Lese- und Schreibkompetenz in der Muttersprache, mit der Umgebung zu kommunizieren", schreibt er. "Jedes Kind hat das Recht auf die Sprache, die zugänglich ist." Diese Überzeugung basiert auf eigener Erfahrung, Rathmann, von Geburt an taub, ist "bilingual" und "ungesteuert" aufgewachsen: Während er mit seinen "hörenden" Eltern und Geschwistern in der Lautsprache kommunizierte, verständigte er sich in Kindergarten und Schule für Gehörlose fast ausschließlich in der Deutschen Gebärdensprache .

"Ich benutze niemals das Wort Schicksal, da ich taub geboren bin und es für normal halte, taub zu sein", schreibt Rathmann. Ihm könne die Lautsprache nicht fehlen, einfach deshalb nicht, weil er sie nie kennengelernt habe. Stattdessen entdeckte er die Gebärdensprachen der jeweiligen Länder als "natürliche und eigenständige Sprachen mit Lexikon, Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik". Rathmann selbst kommuniziert dank mehrerer Auslandsaufenthalte in den USA und Großbritannien fließend in der amerikanischen und der britischen Gebärdensprache.

Seine Ausbildung begann 1991 mit dem Studium der Linguistik, Psychologie und Gebärdensprache in Hamburg, es folgten Stationen an der University of Texas at Austin, wo er 2005 zum Thema "Eventstruktur der amerikanischen Gebärdensprache" promovierte. Anschließend lehrte Rathmann an verschiedenen internationalen Universitäten, darunter der Ohio State University/USA, bevor er im April 2008 dem Ruf ans IDGS folgte.

Die Arbeit am Institut fasziniert Rathmann vor allem wegen der internationalen Vernetzung mit Forschern. Neben dem korpusbasierten IDGS-Deutsch-Wörterbuch ist er in viele internationale Projekte involviert. Daneben will er die Gehörlosen "stärker in den Fokus der Gesellschaft rücken". Das gelang ihm bei der Kooperation mit dem Ernst-Deutsch-Theater. Für das Drama um den gehörlosen 24-jährigen Eyk Kauly, das Macht und Ohnmacht der Sprache thematisiert, hat er das IDGS-Gebärdensprach-Coaching zur Verfügung gestellt. Rathmann schreibt: "Das Medienecho und die Empathie der Zuschauer haben mich überwältigt."