Verwaltungsrecht gilt als ödeste Disziplin der Rechtswissenschaft. Nicht in Hamburg, wo die Juniorprofessorin Ulrike Lembke jede Vorlesung mit praxisnahen Fällen zu einem kleinen Ereignis macht. Dass die Studierenden sie zur Lehrpreisträgerin des Jahres 2011 gewählt haben, wertet sie als "größtmögliche Ehre". Eine Kostprobe aus einer Vorlesung: Als religiöse Gruppen das angeblich blasphemische Stück "Golgota Picnic" am Thalia-Theater verbieten lassen wollten, griff sie den Fall als Beispiel aus der Rechtsprechung auf und stellte die unterschiedlichen Rechtsnormen gegenüber, die das Urteil begründeten. Mit dem Verweis auf die "Freiheit der Kunst" lehnte das Verwaltungsgericht die Klage ab. "Anders wäre es nach Auffassung des Gerichts gewesen, hätte die Aufführung im öffentlichen Raum stattgefunden, wo sich die Menschen dem Stück nicht hätten entziehen können."

Die Nutzung des öffentlichen Raumes durch verschiedene Personen oder Gruppen ist eines ihrer großen Forschungsthemen. "Hier lassen sich spannende Hamburger Fälle für die Vorlesungen finden, ob es nun um die Versammlungsfreiheit, Facebook-Partys, Grillen an der Elbe, den Streit um das Hotel im Schanzenpark oder das Verbot von Sexarbeit in St. Georg geht."

Das Gespräch findet in ihrem Büro im Rechtshaus statt. Ulrike Lembke antwortet offen auf alle Fragen - nur ihr Alter verschweigt sie konsequent, weil in diesem Land Altersdiskriminierung ein Breitensport ist. Besonders beredt ist sie, wenn es um ihre wissenschaftliche Ausbildung geht. In Greifswald studiert sie neben Jura Politikwissenschaft und Anglistik und promoviert 2008 über den Rechtsgelehrten Hans Kelsen (1881-1973). Noch heute schwärmt Lembke von ihrem Doktorvater Claus Dieter Classen. "Bei ihm zählte, wie auch bei Kelsen, nur das sachliche Argument. Das hat mich und mein Selbstverständnis als Wissenschaftlerin und Hochschullehrerin geprägt." Nach dem Referendariat in Lüneburg und Hannover wird sie 2009 an die Uni Hamburg berufen. Seitdem bekleidet Lembke eine Juniorprofessur für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies.

Mit den Legal Gender Studies hat Ulrike Lembke das ideale Themenspektrum für ihren streitbaren Geist gefunden. Die Liste ihrer Fragen, auf die sie eine wissenschaftlich begründbare Antwort sucht, ist lang. Sie beginnt im eigenen Umfeld, etwa damit, warum es "nur 16 Prozent Jura-Professorinnen an deutschen Fakultäten gibt", und geht dann weit über die eigene Fachkultur hinaus zu Fragen von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, Familienformen, Antidiskriminierungsrecht, Migration, Menschenrechten und Bekämpfung von Gewalt im Geschlechterverhältnis.

Ihr Engagement hat sich bis nach Brüssel herumgesprochen. Als Mitglied im European Network of Legal Experts in the Field of Gender Equality, das die Europäische Kommission berät, verfasst sie Gutachten zur Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder zur praktischen Umsetzung der Entgeltgleichheit. "Es ist unglaublich, dass Frauen in Deutschland im Durchschnitt immer noch fast ein Viertel weniger verdienen als Männer."

Auch für die ersten großen Frauenfiguren in der deutschen Rechtslehre kann sich Ulrike Lembke begeistern. Dazu zählt Magdalene Schoch, die vor 80 Jahren als erste Juristin in Deutschland habilitiert wurde. Und zwar in Hamburg. "Das wusste bis vor Kurzem kaum jemand." Sie hat das historisch denkwürdige Ereignis "ausgegraben" und einen Festakt in der juristischen Fakultät durchgesetzt. Auch Lembke schreibt neben Lehre und Forschung an ihrer Habilitation. Ihr einziges Problem ist, dass der Tag nur 24 Stunden hat.