Lutz von Rosenberg Lipinsky studierte Theologie, bis er merkte, dass ihm das Kabarett mehr liegt. Er findet, dass sein Beruf und der eines Pfarrers doch viel gemein haben. Zum Beispiel unangenehme Wahrheiten auf den Punkt zu bringen

Lutz von Rosenberg Lipinsky sitzt eigentlich am liebsten mittendrin, umschlungen von den Gesängen, den Gebeten und den Kirchenbesuchern. "In der Kirche mag ich das Exponierte nicht so", sagt er. Im wahren Leben schon, als Kabarettist ist er es gewohnt, auf der Bühne zu stehen. Als Solokünstler tritt er bundesweit mit seinem Programm auf - exponierter geht es nicht mehr. Deswegen würde er sich bei seinen Besuchen in der Wellingsbütteler Lutherkirche gerne im Hauptraum einreihen. Doch seine Kinder, 6 und 10, lieben die Empore dieses mit 75 Jahren noch jungen Gotteshauses. "Da haben sie mehr zum Schauen; wenn es mal öde ist, können sie über die schönen, goldenen Sprüche auf den Dachquerbalken sinnieren. Die sind ja so ein bisschen wie ein Puzzle angeordnet", sagt der 46 Jahre alte Familienvater.

Für ihn strahlt diese mit viel Holz gstaltete und in Weiß gehaltene Backsteinkirche Geborgenheit und Wärme aus, hier fühlt er sich heimisch, wie überhaupt im christlichen Glauben.

"Bald können Sie hier doch mal auftreten", ruft ihm Pastor Wolfgang Voigt zu. "Klaro, mach ich gerne", sagt Rosenberg Lipinsky ganz locker. Er hat schon in etlichen Altarräumen Schoten aus seinem Leben erzählt, bei der Nacht der Kirchen wird er in der Hauptkirche St. Petri über die "Apokalypse Tomorrow - von den Enden der Welt und dem Ende der Kirche" sinnieren.

Er findet es gut, dass seine Tochter Johanna im Kirchenchor singt, denn auch er ist über die Chormusik zur Kirche gekommen - allerdings in Halle (Westfalen). "Das ist eine sehr bürgerliche Kleinstadt, und damals gab es für Jugendliche entweder Kirche oder Sportverein." Er entschied sich nach der Konfirmation für die Jugendgruppe, die von einem charismatischen, jungen Pastor geleitet wurde. "Der wurde so etwas wie eine Vaterfigur für mich", sagt er und schaut nachdenklich zum hohen Kirchturm.

Der frühe Verlust seines Vaters ist ein Thema, dass wie eine "Leitlinie" durch sein Leben führt, noch immer unverdaut. Spürbare Sehnsucht, die immer wieder hochkommt. Zwölf Jahre war er alt, als sein Vater an Krebs starb, relativ schnell und unvermittelt. "Aber es wäre dennoch Zeit für mich gewesen, Abschied zu nehmen", sagt Rosenberg Lipinsky. Doch das sollte er nicht, die Mutter wollte ihn vom Leid fernhalten und schickte ihn auf eine Freizeit.

Mit zwölf sei seine Kindheit vorbei gewesen, sagt er. Seine großen Geschwister waren ausgezogen, er war plötzlich der Mann im Haus, musste schnell erwachsen werden, mit einer überkorrekten Mutter, die ihm wenig Widerstand bot. "Seither bin ich ziemlich anhänglich, oder negativ gesagt, ich kann mich schwer trennen, das war auch für meine vorherigen Beziehungen immer schwierig." Jetzt ist er glücklich verheiratet, mit Sabine, einer Sprechtrainerin.

Ganz offen lässt Rosenberg Lipinsky einen seine Verletzlichkeit spüren. Das ist ungewöhnlich und sehr sympathisch. In seinen Shows mag es manchmal auch unter die Gürtellinie gehen, da kann der Comedian ätzen, lästern und die Ironie auf die Spitze treiben, als Privatmensch zeigt er sich sensibel mit tiefen Gedanken.

So sagt er, die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Jugendgruppen seien wahrscheinlich "das Heilsamste" nach dem Tod des Vaters gewesen. Mit 16 Jahren leitete er eine Gruppe für behinderte Jugendliche, machte Musik, organisierte Freizeiten, gründete eine Kabarettgruppe, die neben kirchlichen Spottgesängen bald sehr politisch wurde. "Ich habe diese Gemeinschaft mit Gleichgesinnten echt genossen. Wir haben diskutiert über Atomkraft oder Nicaragua genauso wie über biblische Themen."

Der engagierte Pastor, eine kreative Gemeinde, echte Freunde - das alles überzeugte ihn. Er studierte Theologie in Münster und später in Marburg. "Ich dachte, Pfarrer sein sei ein echter Traumberuf. Ich wollte in einer Gemeinde einen Platz für Menschen schaffen, die sich mit Themen intellektuell und kreativ auseinandersetzen. Ich wollte Kultur und Humor einbringen." Doch die theologischen Studenten-Tagungen brachten schnell Ernüchterung. "Ich sollte geschmeidig sein, mir wurde klargemacht, dass ich mich in kleinen Landgemeinden hochdienen müsse und Kultur erst mal unwichtig sei." Er fühlte sich abgebügelt, war enttäuscht. Zudem gab es eine Theologenschwemme, die Perspektiven für ihn schienen miserabel zu sein.

Er stieg aus. Und machte sein Hobby zum Beruf. "Comedians und Pastoren haben ja auch viel gemein", findet er. "Beide sprechen Wahrheiten aus, berühren Menschen mit Worten und sollten die Fähigkeit besitzen, Themen und menschliche Tragödien zuzuspitzen." Seit rund 20 Jahren tritt er nun bundesweit auf Kabarett-Bühnen und im Quatsch Comedy Club auf, erzählt über Feminismus, Fußball, "das ist auch primitive Religion, mit Riten, Farben und Gesängen", Krisen oder neuerdings über Ängste. Über die hat er sogar ein Buch geschrieben.

"Es ist erstaunlich, von wie vielen Ängsten Menschen seit Jahrzehnten beherrscht werden. Sie fürchten sich vor Atomkraft, schlechten Lebensmitteln, dem Irak und jetzt vor der Euro-Krise. Und gleichzeitig leben sie völlig stabil vor sich hin", ereifert er sich.

Er selber scheint keine Angst vor dem Weltuntergang zu haben. "Ich fühle mich gehalten und ich suche mir immer wieder Momente, in denen ich zur Besinnung komme." Die findet er im Gebet. "Wenn ich bete, überkommt mich eine Grundruhe."

Kirchenkritik ist übrigens selten Teil seines Kabarett-Programms. "Das würde die Leute langweilen, denn gerade die evangelische Kirche ist derzeit wenig relevant, sie äußert sich nicht klar genug zu den sozialen Problemen im Land, zum Bankenkapitalismus, der uns beherrscht." Das ärgert Rosenberg Lipinsky sichtlich. Doch er ist keiner, der sich deswegen von der Institution abwendet. Im Gegenteil, seit drei Jahren ist er im Kunst- und Kulturausschuss des Kirchentags, in Hamburg wird er 2013 selber eine kabarettistische Bibelarbeit abhalten.

Ein wenig missionarischen Eifer hat Lutz von Rosenberg Lipinsky sich aus Theologie-Zeiten also doch noch bewahrt.

Der Kabarettist tritt in der Nacht der Kirchen am 15.9. um 21.30 Uhr in St. Petri auf. Am 29.10. um 20 Uhr ist er in Alma Hoppes Lustspielhaus