Kirche zwischen öffentlichem Kunst-Raum und striktem Bilderverbot: Es gab beides. Das spannungsvolle Verhältnis von Kunst und Kirche.

Aller Anfang war schwer für die bildende Kunst in der Kirche. Dem strikten Bilderverbot des Alten Testaments verpflichtet, wollte die frühe Christenheit nicht in den Verdacht des Götzendienstes geraten und verzichtete zunächst auf Bilder.

Ab 200 n. Chr. jedoch finden sich erste Darstellungen des christlichen Glaubens auch in bildlicher Form. In den römischen Katakomben wurden Symbole und Bilder auf die Wände gemalt, die bis heute ihre Bedeutung nicht verändert haben: der Fisch als Symbol des Glaubens - auf manchen Autos als Aufkleber zu finden - oder Anker und Kreuz als Symbole der Hoffnung auf das ewige Leben - noch immer als Kettenanhänger beliebt.

Daneben traten Darstellungen von Jesus als dem "Guten Hirten" oder von seiner Geburt und dem Besuch der Weisen aus dem Morgenland.

Die Bilder sollten an die biblischen Geschichten erinnern; sie sollten ihre Wahrheit dokumentieren und damit eine Hilfe zum Glauben sein.

Die mittelalterliche Kirche hat darum die darstellende Kunst besonders gefördert. Nur wenige Menschen konnten lesen und schreiben. Aber mit Hilfe der Bilder in den Kirchen konnte das Volk belehrt werden. Biblische Geschichten und Legenden der Heiligen wurden anhand der Bilder erzählt und gedeutet. Die Kirchen waren die einzigen Orte, an denen Kunst öffentlich zugänglich war. Große Flügelaltäre wurden an den Festtagen geöffnet und zeigten ganz andere Bilder als im Alltag. In großen Kirchen hingen im Winter und in der Fastenzeit vor Ostern oft großartig gestaltete Tücher und Teppiche mit Bildmotiven: Bilder zur Meditation, aber auch Schutz vor Kälte und Feuchtigkeit.

Für die Menschen früherer Zeiten war dieser Wechsel der Kunst in den Kirchen aufregend und begeisternd. Sie waren viel mehr als wir heute in der Lage, die Bilder "zu lesen" und ihre Inhalte zu deuten.

Die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist regional sehr unterschiedlich mit den Bildern in den Kirchen umgegangen. Die Reformierten betonten wie schon die Urchristenheit strikt das Bilderverbot des Alten Testaments. Altäre, Bildwerke und Statuen wurden vollständig aus den Kirchen entfernt und mancherorts sogar zertrümmert und verbrannt. Bis heute gibt es in reformierten Gemein- den keinen Bilderschmuck. Martin Luther war moderater. Er wollte jene Bilder zulassen, die den Glauben an Jesus Christus fördern. Nur was der biblischen Botschaft widersprach oder nicht in ihr zu finden war, sollte aus den Kirchen entfernt werden. So wurden für die lutherischen Kirchen in Hamburg besonders im 17. und 18. Jahrhundert viele Bilder geschaffen, die bis heute erhalten sind: in St. Petri und St. Jacobi, in St. Johannis-Eppendorf oder in den schönen Dorfkirchen der Vier- und Marschlande.

Diese Bilder wollen ange-schaut werden, aber sie wollen auch "besprochen" werden. Sie laden zum Dialog über den Glauben - das ist ihr tiefer Sinn - und läßt die religiösen Bilder weit mehr sein als nur Schmuck für die Kirche. Das setzt allerdings voraus, daß die Bilder eine "Sprache sprechen", die alle Menschen gleichermaßen verstehen können.

Im 18. Jahrhundert brachte die Aufklärung einen radikalen Wandel auch im Betrachten religiöser Kunst. Menschen besuchten die Kirchen vermehrt wie ein Museum, um dort Bilder und Altäre anzusehen; und sie taten es ganz individuell. Sie deuteten selbst, was sie sahen und sehen wollten, was ihnen wichtig war oder was nicht. Bei Kirchneubauten wurden Bilder nur sehr sparsam aufgehängt oder es wurde gleich ganz darauf verzichtet.

Im 19. Jahrhundert findet sich verbreitet ein sehnsuchtsvoller Blick zurück zur Kunst des späten Mittelalters. Die Kargheit wurde als Mangel empfunden. Die neugotischen Kirchen Hamburgs (z. B. St. Johannes am Turmweg oder St. Gertrud) sind schöne Beispiele für diese Architektur und kirchliche Kunst, die an Altes anzuknüpfen sucht. Eines läßt sich dadurch aber nicht wieder gewinnen: das Gemeinsame des in den Bildern dargestellten Glaubens, jene gemeinsame "Sprache", die jahrhundertelang verstanden wurde.

Caspar David Friedrich hat davon schon im 19. Jahrhundert über eines seiner Bilder geschrieben, auf dem er ein schlichtes Kreuz gemalt hatte: für einen Glaubenden sei es ein Trost, für alle anderen eben nur ein Kreuz.

Die Bilder in unseren Kirchen brauchen und wollen das deutende Gespräch, den Austausch über das, was Menschen darauf erkennen und sehen. Solcher Dialog über religiöse Kunst birgt in sich die Chance, zu einem Dialog über den Glauben zu werden.

Alexander Röder (44) ist neuer Hauptpastor der St.-Michaelis-Kirche.