Der dritte Roman der britischen Autorin Sadie Jones ist eine gespenstische Sittenkomödie

Sadie Jones ist eine Art Shootingstar der britischen Literaturszene. Ihr Romandebüt "Der Außenseiter" schoss auf den Bestsellerlisten an die Spitze, gewann einen Preis nach dem anderen. Zuvor arbeitete Jones, 1968 in London geboren, als Drehbuchautorin vor allem für die BBC. In diesen Tagen erscheint in Deutschland "Der ungeladene Gast", Jones' dritter Roman, der an einem milden Frühlingsabend im Jahr 1912 seinen Anfang nimmt.

Sterne, ein isoliertes, vor sich hin bröckelndes Landhaus aus dem 18. Jahrhundert im Nordwesten Englands, steht kurz vor dem Verkauf. Edward Swift, der neue Mann von Charlotte Torrington, macht sich deshalb auf dem Weg nach Manchester, um das dringend benötige Darlehen für das Familienanwesen aufzutreiben. Unterdessen beginnen auf Sterne die Vorbereitungen für ein Dinner anlässlich des zwanzigsten Geburtstags der ältesten Tochter Emerald. Doch nicht nur die geladenen Gäste werden eintreffen, auch eine Schar Zugreisender, die einen schrecklichen Unfall verwickelt wurden...

Hamburger Abendblatt:

"Der ungeladene Gast" ist Ihr dritter Roman. Wird es leichter mit dem Schreiben, oder wird die Hürde von Buch zu Buch größer?

Sadie Jones

: Es würde leichter werden, wenn ich das gleiche Buch wieder und wieder schreiben würde. Aber jedes neue Buch bringt neue Herausforderungen und Probleme mit sich. Für jede Sache, die ich mit der Zeit über das Schreiben gelernt habe, gibt es auf der anderen Seite so viele andere Dinge, die ich mühsam neu lernen muss.

Aber eine Art Routine werden Sie doch sicher entwickelt haben. Wie viele Stunden des Tages verbringen Sie denn mit Schreiben - und mit Recherchieren?

Jones:

Ich bin ein Gewohnheitstier. Ich setze mich nach dem Frühstück an den Schreibtisch bis etwa zwei Uhr mittags. Meine produktivsten Stunden habe ich am Vormittag. Wenn ich gerade ein Buch schreibe, versuche ich, diese kostbaren Stunden jeden Tag voll auszuschöpfen. Weil ich Kinder habe, war das in der Ferienzeit gelegentlich ein Problem - aber jetzt, wo sie beinahe Teenager sind, habe ich einen Großteil meiner Arbeit bereits erledigt, wenn sie aufstehen. Und die Recherche? Ich weiß, dass einige Autoren es lieben, aber für mich gehört das Recherchieren zum notwendigen Übel. Ich muss mich natürlich sehr gut auskennen in dem Milieu, in dem meine Geschichte spielt - aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass zu viele Fakten den kreativen Prozess auch lähmen können.

Ihr neuer Roman spielt im Jahr 1912, im englischen Landadel. Wie haben Sie sich in diese Zeit hineingearbeitet?

Jones:

Ich interessiere mich eigentlich nicht besonders für das Genre historischer Romane, aber natürlich musste ich das Jahrhundert, in dem mein Buch spielt, glaubhaft beschreiben. Das Recherchieren habe ich, wie gesagt, auf ein Minimum beschränkt, dafür Romane von Vita Sackville West und John Buchan, EM Forster und Saki gelesen, außerdem ein Kochbuch aus dieser Zeit. Historische Kostüme habe ich mir online angesehen.

Sie haben bestimmt die erfolgreiche britische Kostümserie "Downton Abbey" um eine Adelsfamilie gesehen. Sind Sie - wie jeder andere - auch Fan?

Jones:

Ich gebe es wirklich nur ungern zu, aber ich bin kein großer "Downton Abbey"-Fan. Mir ist bewusst, dass die Serie wahnsinnig beliebt und erfolgreich ist, weshalb ich Vergleiche mit ihr als ein großes Kompliment ansehe - aber meiner Meinung nach haben "Der ungeladene Gast" und "Downton Abbey" nichts gemeinsam.

Mit Serien kennen Sie sich gut aus: Sie arbeiten auch als Drehbuchautorin. Ist das ein Grund dafür, dass Sie Dinge sehr detailliert, sehr anschaulich beschreiben? Man sieht die Verfilmung des Romans geradezu vor sich...

Jones:

Ein Drehbuch zu schreiben ist pures Geschichtenerzählen. Es gibt keine Umschreibungen, hinter denen sich der Autor verstecken kann, deshalb müssen Charaktere und Handlung umso glaubhafter sein, sonst gerät das Drehbuch zum Desaster. Drehbuchschreiben ist ein gutes Training für die fließendere und formlosere Form des Schreibens von Romanen. Ich sehe meine innere Welt mit großer Klarheit und ein großer Teil von mir ist ein Dramatiker aus Leidenschaft, weshalb das Schreiben von Drehbüchern und Romanen sich bei mir gegenseitig befruchtet und ergänzt.

Familie spielt in Ihren Büchern eine große Rolle. Hier ist es eine Familie, die vor dem Ruin und Verlust ihres Lebensmittelpunktes steht. Wie würden Sie die Familienmitglieder charakterisieren?

Jones:

Ha! Erstmals sind sie ein ziemlich eingebildetes und egozentrisches Grüppchen. Die Mutter ist eine Art Monster, der Teenagersohn ist träge und mürrisch, die jüngste Tochter eine tollkühne Fantastin und die älteste - die Heldin, deren 20. Geburtstag gefeiert wird - die einzige reife Person unter ihnen. Ich liebe diese Familie, es war toll, über sie zu schreiben.

"Der ungeladene Gast" ist einerseits ein Kommentar zu den Klassenunterschieden der britischen Gesellschaft, andererseits eine Art Sittenkomödie. Wie haben Sie den richtigen Tonfall für die Geschichte gefunden?

Jones:

Das ist eine gute Frage. Mit dem richtigen Tonfall steht und fällt das Buch. Dieses hier ist eine Liebeskomödie im Shakespearschen Sinne, aber auch eine Farce, zum Teil sogar ein übersinnlicher Thriller und ein breiter Streifen des Surrealen durchzieht das Ganze obendrein. Mein Ziel war es, dem Leser eine wunderschön gedeckte Dinner-Tafel samt Streichquartett raffiniert zu präsentieren - und dann alles einzureißen. Dafür das richtige Gleichgewicht zu finden, war nicht einfach, denn das Buch ist in seinem Zentrum sehr ernst - ernst im Bezug auf Klassenunterschiede und auf Güte. Wobei man es bitte nicht als Polemik missverstehen sollte, vielmehr ist es eine Komödie, aber eine, die einen frösteln lässt und auch verstört.

Sadie Jones mit Leslie Malton (deutscher Text), 16.9., 21 Uhr, Cap San Diego, Karten zu 14 Euro unter T. 30 30 98 98.