Meisterhaft: Teju Cole lässt in “Open City“ einen Psychiater durch New York spazieren

Es gibt diese seltenen Bücher, die bereits nach wenigen Seiten der Lektüre eine Art Schmerz mit sich bringen. Ausgelöst durch die Angst, der wohlfeile Fluss der Worte auf dem Papier könnte allzu schnell versiegen. Diese Vorab-Nostalgie stellt sich beim Lesen von Teju Coles "Open City" sehr rasch ein. Denn wie der Schriftsteller da seinen Protagonisten zu Beginn durch New York flanieren lässt, wie er den äußeren Stadtplan zur inneren Landkarte des Helden werden lässt und wie das Treiben in der Metropole immer wieder zum Mäandern der Seele wird, das ist meisterhaft gelungen.

Julius, die Hauptfigur des Romans, ist wie der Autor selbst ein US-Amerikaner mit nigerianischen Wurzeln. Und der 37-Jährige schreibt über diesen jungen Psychiater mit einer klaren, klugen Sprache. Julius, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hat, der Klassik und europäische Literatur liebt, sucht bei ziellosen Spaziergängen in den Abendstunden einen Ausgleich zur Monotonie des Alltags. Seine Touren sind zum einen natürlich eine wunderbare Hommage an die Stadt der Städte, an New York. An die Reizüberflutung und Anonymität, die sie in sich birgt. An die Impulse und an die Inspiration, die jeden, der die Straßen durchläuft, jederzeit bis ins Mark treffen können.

"Jedes Viertel schien aus einem anderen Stoff zu bestehen, einen anderen Luftdruck zu haben, eine andere psychische Aufladung: die strahlenden Lichter und verlassenen Läden, die Sozialbauten und Luxushotels, die Feuerleitern und Stadtparks", bemerkt der Ich-Erzähler. Schritt für Schritt weitet sich der Rahmen der Geschichte. Nicht nur topographisch. Die Ausflüge geraten zur Vergangenheitsbewältigung, die Story wird zum gesellschaftlichen Kaleidoskop und letztlich zur großen Metapher auf unser rastloses Leben.

Der Topos des Flaneurs ist vor allem seit Walter Benjamin keine Neuheit in der Literatur. Aber Coles Spaziergänger ist keiner, der in der Masse untergeht, um seine Beobachtungen anzustellen. Immer wieder begegnet Julius auf dem Weg durch den urbanen Raum Personen, deren Existenz die Richtung seiner Gedanken beeinflusst.

Cole, der in Brooklyn lebt und unter anderem für die "New York Times" und den "New Yorker" schreibt, ist für sein traumwandlerisches und zugleich hoch realistisches Belletristik-Debüt bereits mit dem PEN/Hemingway Foundation Award ausgezeichnet worden.

Teju Cole mit Tino Mewes (deutscher Text), 14.9., 19 Uhr, Cap San Diego. Tickets zu 14 Euro unter T. 30 30 98 98.