Jussi Adler-Olsen erzählt in “Verachtung“ von Zwangssterilisation in unserem Nachbarland

Als das schwedische Autorenduo Per Wahlöö und Maj Sjöwall 1965 seinen ersten Kriminalroman "Die Tote im Götakanal" veröffentlichte, war Jussi Adler-Olsen gerade 15 Jahre alt. Sjöwall/Wahlöö sollten im Laufe der 70er-Jahre mit ihren Büchern die Entwicklung des europäischen Kriminalromans nachhaltig beeinflussen.

Das lag zum einen an dem unkonventionellen Ermittlerteam um Hauptkommissar Martin Beck, zum anderen lag es am gesellschaftspolitischen Zugriff der Autoren: Sie demontierten das heile Bild vom schwedischen Wohlfahrtsstaat und zeigten dessen dunkle Seiten. Noch heute berufen sich die meisten schwedischen Krimiautoren auf diese beiden Erneuerer.

Von Jussi Adler-Olsen ist nicht bekannt, dass er sich in seinen zu internationalen Bestsellern avancierten Thrillern auf Sjöwall/Wahlöö bezieht. Gleichwohl bewegt sich der Däne Adler-Olsen zumindest in seinem aktuellen Roman "Verachtung" in jener Tradition. Schließlich hat er mit dem knorrigen Sonderermittler Carl Mørck und dessen syrischem Assistenten Hafez el-Assad zwei durchaus eigenwillig zu nennende Protagonisten entworfen - und zudem greift Adler-Olsen ein brisantes, im Dunkel des öffentlichen Bewusstseins verschüttetes politisches Thema auf: die Zwangssterilisierungen von Frauen in den 50er-Jahren in einem Lager auf der kleinen dänischen Ostseeinsel Sprogø.

Thematisch also, wenn man so will, Aufklärung auch im Geiste von Sjöwall und Wahlöö: Denn was zwischen 1923 und 1961 in der nach seinem Gründer, dem Psychiater Christian Keller, benannten Kellerschen Anstalt auf Sprogø geschah, galt anfangs als fortschrittliche psychiatrische Methode, weil die Frauen sich weitgehend frei bewegen konnten, denn Fluchtgefahr bestand wegen der Insellage kaum, später jedoch war es nichts weniger als ein saftiger Skandal.

Viele der dort internierten Frauen durften die Insel nur wieder verlassen, wenn sie einwilligten, sich sterilisieren zu lassen. In der dänischen Öffentlichkeit war das Wissen um die menschenverachtenden Vorfälle auf Sprogø außerordentlich unterentwickelt.

In seinem nach "Erbarmen", "Schändung" und "Erlösung" vierten Carl-Mørck-Thriller nun erzählt Adler-Olsen die Geschichte einer Frau, Nete Rosen heißt sie, anhand gleich mehrerer Handlungsstränge. Auch Nete Rosen war in den 50er-Jahren als knapp 20-Jährige auf Sprogø interniert, führt aber 30 Jahre später nach der Heirat mit einem wohlhabenden Wissenschaftler ein gut situiertes Dasein im oberen Drittel der Gesellschaft.

Bis ihr eines Tages ein Peiniger aus alten Zeiten begegnet, der Nete während eines Empfangs vor allen Gästen bloßstellt. Für Nete bricht ihre neue, wohlbestellte Welt mit einem Schlag zusammen. Jussi Adler-Olsen, Sohn eines Oberarztes in der Psychiatrie, verknüpft souverän die Geschichte dieser Frau mit den politischen Ambitionen eines rechtsradikalen Fanatikers und den Ermittlungen von Carl Mørck und seinem Team, das sich um den Fall einer vor 25 Jahren verschwundenen Frau zu kümmern hat. Dabei kommt nach und nach heraus, dass damals nicht nur eine Frau, sondern nahezu zeitgleich mehrere Personen vermisst wurden. Was die Sache für Mørck und sein Team nicht eben einfacher macht.

Auf drei zeitlichen Ebenen erzählt Adler-Olsen seine ungemein spannende Geschichte - und führt am Ende zusammen, was zusammen gehört. Dass sich auch dieser Roman für Wochen, wenn nicht Monate auf den Bestsellerlisten festsetzen wird - man muss sicherlich kein Prophet sein, um diese Prognose zu wagen.

Jussi Adler-Olsen mit Peter Lohmeyer (deutscher Text), 20.9., 20 Uhr, Universität, Audimax 1. Restkarten zu 14 Euro unter T. 30 30 98 98.