Rainer Moritz erzählt in “Sophie fährt in die Berge“ von den Wundern zwischen Mann und Frau

Man sollte den Roman "Sophie fährt in die Berge" auf keinen Fall hungrig lesen. Wenn sich das Loch im Bauch beinah schon über den ganzen Leib auszubreiten droht und das Fleisch so schwach ist wie nach einem Gewaltmarsch über einen Alpenpass, dann darf man nie und nimmer die Menüfolge eines Restaurants in einem Tiroler Berghotel lesen. Was es da für feine Sachen gibt! Schlutzkarpfen, Limonenrisotto, Wiener Schnitzel, Kürbiscremesuppe, Panna cotta usw. usf.: Man möchte sofort etwas essen.

Genau wie die Gäste im Hotel der Grubers, "daheroben in den Bergen", wie der Alpenbewohner so schön sagt. Diese Gäste, wohlsituierte Mitteleuropäer aus England, Frankreich, Düsseldorf, Berlin oder Hamburg, wollen an der frischen Luft mal ein bisschen Hans Castorp nachspielen und vom nervösen Getue der großstädtischen Moloche loskommen.

Sie wollen genesen durch Spaziergänge und gute Kost, und Rainer Moritz, der Autor dieses leichtfüßigen und unterhaltsamen Romans, hat ihr Treiben auf dem Berg der Erholung genau beobachtet - leider zu genau. "Die Mahlzeiten in Zweikapellen stellten den Höhepunkt des Tages dar, doch anmerken ließ sich das keiner", heißt es nämlich gleich am Anfang von "Sophie fährt in die Berge". So geht es einem im Urlaub allzu oft selbst.

Im Speisesaal ist freilich unbedingt Contenance angesagt. Man will ja nicht immer der erste sein, der den Kellner zu sich herüber winkt, und man will auf gar keinen Fall als verfressen gelten. Die titelgebende Figur Sophie ist nicht verfressen, aber im Urlaub - daheim in Wilmersdorf gibt es meist Kohlrabi - durchaus Gourmet. Dabei jedoch immer um ihre Figur besorgt: Die Wechseljahre stehen vor der Tür, aber sie will ja sexy bleiben.

Fürs Selbstwertgefühl: Gut fühlt sich die Berliner Museums-Angestellte übrigens meist dann, wenn sie anderer Frauen ansichtig wird. Sie schätzt die seltsamerweise immer älter, als sie eigentlich sind. Sie selbst erlebt dann auf der Alm ein Abenteuer, wie es eigentlich der Jugend vorbehalten ist: Der schöne Stefano, ein Mann von zunächst unklarem Charakter, verdreht ihr den Kopf. Einmal überrascht er sie beim Nacktbad im Bergbach, aber noch schöner ist der Ort ihres Kennenlernens: auf der Kirchbank.

Dabei gibt's auf der Alm koa Sünd', und deswegen lässt sich die beschwingte Sophie auch nicht von dem schlechten Leumund irritieren, den der investigative Journalist Stefano hat. Er recherchiert die Lebensgeschichte eines Künstlers, der sich in die Herzen der Nazis malte, und gilt deshalb als Nestbeschmutzer. Die Romanze, die sich zwischen Sophie und Roman entspinnt, ist ganz entzückend - Rainer Moritz ist ja ein Meister, wenn es darum geht, die zarten Liebeshändel der Menschen mittleren Alters zu beschreiben. In seinen beiden Paris-Romanen "Madame Cottard und eine Ahnung von Liebe" und "Madame Cottard und die Furcht vor dem Glück" wurde in der romantischste aller Kulissen geliebt, nun spielen sich die Wunder zwischen Mann und Frau in der gewaltigen Südtiroler Natur ab.

Mit lockerem Pinselstrich malt Moritz ein farbenfrohes Bild einer gutbürgerlichen Urlaubsgesellschaft, in dem die selbstironischen Lehrer, abgehalfterten Künstlerinnen, gediegenen Haushaltswarenhändler und nerdigen Philologen den "Zauberberg" am Ende doch zu Hause lassen, weil das schließlich viel zu gewollt wäre. Reibungslos verläuft das Techtelmechtel zwischen Sophie und Stefano nicht, weshalb, auf der zweiten Erzählebene, ein Silvesterabend in Berlin mit einer großen Kotzerei auf der Tanzfläche endet.

"Sophie fährt in die Berge" schreit nach einer Fortsetzung. Weil die liebesdurstige Frau eben auch wieder nach Berlin zurückfährt. Bleibt am Ende also vor allem die Frage: Wann findet Rainer Moritz eigentlich die Zeit zum Schreiben? Hauptberuflich amtiert er als Chef des Literaturhauses und ist also einer von Hamburgs wichtigsten Lesern, der ohnehin schon von Büchern förmlich erschlagen wird.

Rainer Moritz (mit Leslie Malton) 15.9., 21 Uhr, Cap San Diego. Tickets zu 12Euro unter T. 30.30 98 98.