Der italienische Dirigent und sein Lucerne Festival Orchestra eröffnen die Saison der Elbphilharmonie Konzerte mit Maria João Pires

Es klingt so einfach wie jede wirklich gute Idee. Aber darauf, in einer Orchesterprobe einmal nur die hintersten Pulte der Streichergruppen miteinander spielen zu lassen, musste wohl jemand vom Range eines Claudio Abbado kommen. Wenn die am weitesten voneinander entfernt sitzenden Spieler einander hören und aufeinander reagieren wie in der Kammermusik, beeinflusst das die Präsenz und die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe, ja des ganzen Orchestertuttis.

Der kleine Kniff passt zum Credo dieses Grandseigneurs der Dirigentenzunft: Ums Zu- und Aufeinanderhören geht es ihm, wann immer er vor ein Orchester tritt. Abbado ordnet nicht an, er doziert nicht, er redet kaum. Er moderiert mit Gesten und schlägt vielleicht einmal etwas vor - am liebsten: "Hören Sie einfach zu!" Als ergäbe sich alles andere von selbst. Was es dann auch tut.

Mit so viel Zutrauen, Freiheit, nobler Zurückhaltung muss ein Orchester erst einmal umgehen können. Als Abbado 1989 dem verstorbenen Patriarchen Herbert von Karajan auf den Chefposten bei den Berliner Philharmonikern folgte, hatten die Musiker nach Jahrzehnten unter Karajans Knute gewaltige Umstellungsschwierigkeiten.

Womöglich hat es mit dieser Erfahrung zu tun, dass sich Abbado seit seinem Abschied als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker 2002 den Luxus leistet, fast nur noch mit eigenen Orchestern zu arbeiten, will sagen: mit selbst gegründeten. Jede seiner Gründungen spricht für ein bestimmtes Anliegen - ob es 1978 das European Union Youth Orchestra war oder 1986 das Gustav Mahler Jugendorchester; beides exquisite Adressen für den hochtalentierten Nachwuchs, der Abbado seit jeher besonders am Herzen liegt. Zwei der weltbesten Kammerorchester gehen ebenfalls auf Abbado zurück, nämlich das Chamber Orchestra of Europe und das Mahler Chamber Orchestra. Und die jüngsten dieser "Kinder" sind das Orchestra Mozart, Jahrgang 2004, und das Lucerne Festival Orchestra, gegründet 2003, für das der Maestro, selbst übrigens Jahrgang 1933, jährlich die besten Instrumentalisten europäischer Orchester und Ensembles um sich schart.

Da versammeln sich dann also gestandene Instrumentalsolisten wie die Klarinettistin Sabine Meyer, der Oboist Albrecht Mayer oder der Geiger Kolja Blacher, der zu Abbados Zeiten bei den Berliner Philharmonikern Konzertmeister war. Und während die Kollegen Ferien machen, spielen diese Herrschaften mit einer Begeisterung, einer Unbedingtheit wie zu Jugendorchesterzeiten. Perfektion? Ist selbstverständlich - und doch nicht mehr als schlichte Voraussetzung. Hier gilt's der Inspiration jedes Einzelnen, die der scheinbar so zurückhaltende Abbado freizusetzen und zu bündeln versteht wie kaum ein zweiter.

Mit diesem klingenden Wunder kommt Abbado nun nach Hamburg und eröffnet die neue Saison der Elbphilharmonie Konzerte. Das ist eine kleine Sensation, denn Termine mit diesem All-Star-Ensemble sind vermutlich schwerer zu kriegen als eine Audienz beim Papst.

Schnörkellos ist das Programm: Die Künstler begleiten die Portugiesin Maria João Pires bei Mozarts Klavierkonzert G-Dur KV 453, den zweiten Programmpunkt bildet Anton Bruckners Erste Sinfonie c-Moll.

Bruckner und Mozart zusammenzuspannen, drängt sich auf den ersten Blick nicht auf. Auf den zweiten Blick hingegen zeigen sich mehr Zusammenhänge, als das von Mythen bis zur Unkenntlichkeit umrankte Brucknerbild vermuten ließe. Anders als die Nachwelt das mitunter wollte, war der Komponist kein bäuerlicher Eremit, und auch seine Sinfonien lassen sich mitnichten auf die Monolithen reduzieren, als die sie oft wahrgenommen werden und übrigens auch zu Lebzeiten schon verunglimpft wurden. Bruckner wurzelte musikalisch in der Tradition Michael und Joseph Haydns, die Tonsprache und der Formwille seiner frühen Werke verraten es.

Ausgerechnet im Falle von Bruckners Erster ist das mit dem Frühwerk allerdings so eine Sache. Fast alle seine Sinfonien hat der Dirigent später umfassend überarbeitet und sich geduldig angehört, was wohlmeinende Musiker und Kompositionsschüler zu sagen hatten. Die zweite, sogenannte "Wiener Fassung" der Ersten entstand erst in den 1880er-Jahren, 25 Jahre nach der "Linzer" Urfassung und zeitgleich mit der Siebten Sinfonie.

Es spricht für Abbados künstlerische Unbeirrbarkeit, dass er sich von der Mode, die brucknerschen Urfassungen zur Aufführung zu bringen, nicht aus der Ruhe bringen lässt. Dabei ist er der Entdeckerfreude der historischen Aufführungspraxis durchaus nicht abgeneigt. Sein schlackenloser, federnder Mozartstil zeugt davon. Zu bewundern übrigens auf der Aufnahme des Klavierkonzerts, die Dirigent und Pianistin schon 1995 eingespielt haben, damals noch mit dem Chamber Orchestra of Europe. Eins ist allerdings sicher: Im September 2012 wird es ganz anders klingen. Wie es eben klingt, wenn sich eine gute Hundertschaft von Musikern der Inspiration des Moments hingibt - diskret eskortiert von einem zartgliedrigen älteren Herrn.

Lucerne Festival Orchestra, Maria João Pires, Claudio Abbado 21.9., 20.00, Laeiszhalle. Karten zu 12,- bis 185,- unter T. 35 76 66 66