Ein Geburtstagsständchen für Wolfgang Rihm? Ach was - ein ganzes Minifestival

Was haben Herbert Grönemeyer und Wolfgang Rihm gemeinsam? Ob Rihm ebenfalls nicht wirklich tanzen kann, ist nicht bekannt - dafür aber haben beide jeweils einen großen Komponisten vor einer Filmkamera gespielt. Grönemeyer gab Robert Schumann und durfte in "Frühlingssinfonie" sogar Nastassja Kinksi als Clara heiraten. Rihm dagegen verwandelte sich 1978 für den eher unbemerkt gebliebenen 40-Minüter "Aber unvollendet" in Franz Schubert und schrieb damals über ihn, in seiner Musik gebe es "Stellen des Insistierens. Verharren kann man es nicht nennen, die Bewegung führt weiter, aber auf der Stelle: Sie dringt in die Tiefe."

Im eigenen Schaffen hat sich Rihm nicht an den Filmtitel gehalten; kaum ein anderer Komponist seiner Generation ist so fleißig und so vielseitig unverkennbar wie er. Die NDR-Konzertreihe "das neue werk" gratuliert dem überzeugten Badener nachträglich zum 60. Geburtstag im Frühjahr, indem sie einige seiner Werke bei zwei Konzerten in Kontrast und Beziehung vor allem zu Schubert stellt.

Mittelpunkt des Programms ist die Kammeroper "Eine Straße, Lucile", die Rihm 2011 für das Staatstheater in seiner Geburtsstadt Karlsruhe schrieb. Es entstand eine 20-Minuten-Szene für Sopran und Orchester aus Büchners "Dantons Tod", als Vorspiel zu Gottfried von Einems Einakter-Vertonung dieses Stoffs. Gesungen wird die Partie der Revolutionärs-Gattin Lucile Desmoulins, die 1794 unter der Guillotine starb, von Staatsopern-Ensemblemitglied Ha Young Lee. Orchestrales Vorspiel dazu sind der zweite und dritte Abschnitt des "Nähe fern"-Zyklus (2011). Obwohl der Titel nach einer Anspielung auf das Melancholie-und-Einsiedler-Klischee für Schubert klingt, geht es um einen anderen großen Eigenwilligen: Johannes Brahms. Der Titel bezieht sich auf ein von ihm vertontes Goethe-Gedicht, in dem es heißt: "Dämmrung senkte sich von oben / Schon ist alle Nähe fern", die Zyklen-Teile sind meditative Nachklänge auf die vier brahmsschen Sinfonien.

Das Fragmentarische, Zerrissene in Schuberts Künstlerleben dokumentiert das Sinfonie-Fragment D 936a, der Liedkomponist kommt mit drei Reger-Bearbeitungen zu seinem Recht.

Der zweite Abend ist kammermusikalischer gehalten, deswegen aber nicht weniger abwechslungsreich. Den Anfang macht Schuberts Sonatensatz D 28 für Klaviertrio, gefolgt von einem Auszug aus dem Quartett "Der Tod und das Mädchen" und den sechs Bagatellen op. 9 von Anton Webern. Diese aufs Wesentliche konzentrierte Miniatur ist eine ideale Überleitung hin zu Rihms "Fremde Szenen". Auch auf diesen Klaviertrio-Stücken liegt ein großer Schatten, der von Robert Schumann. Und auch hier gelang es Rihm, sich davon nicht beeindrucken oder übertönen zu lassen.

Zum Abschluss wird nicht nur der Musikdramatiker und der Geschichtsbewusste gewürdigt, auch der Kammermusik-Komponist Rihm, der schrieb: "Mit Streichquartett muss gekämpft werden, bissig und liebevoll". Das Minguet Quartett, das seit Jahren zu den verlässlichsten Aufführungs-Partnern Rihms zählt und die erste Gesamteinspielung seiner Streichquartette vorgelegt hat, wird dessen 4. Quartett spielen, das sich in seiner Dramatik und Gestik auf Beethoven bezieht, sowie das einsätzige 11. Quartett (1998/2010), das sich mit Bach auseinandersetzt. Der Rihm-O-Ton dazu: "Ich wollte etwas gänzlich Organisches schaffen; ein Stück, in dem sich alles wie von selbst zu ergeben scheint, unangestrengt auch dort, wo es insistierenden, ja sogar kämpferischen Charakter zeigt." Ausklang der Doppel-Hommage: eine Liedwerkstatt mit entsprechenden Materialproben von Schubert und Rihm.

Im April 1972 schrieb Karlheinz Stockhausen dem 20 Jahre jungen Schüler: "Lieber Wolfgang Rihm, bitte folgen Sie ganz Ihrer inneren Stimme. Ihr Stockhausen." Dieser weise Rat wird immer noch befolgt.

"Rihm & Schubert": 2.11., 20.00; 3.11., 18.00, Rolf-Liebermann-Studio. Karten zu 18,-/erm. 9,- (2.11.) bzw. 14,-/erm. 7,- (3.11.) unter T. 0180/1 78 79 80* oder www.ndrticketshop.de