Auf Deck 9 des Internationalen Maritimen Museums befindet sich die größte Schiffsminiatur-Sammlung der Welt

"Ich bin Hamburgs größter Schiffbaubetrieb", sagt Carlo Marquardt und lächelt mit der abgebrühten Verschmitztheit eines echten Hamburgers, "aber das hört Blohm + Voss nicht so gerne." Der kernige Typ mit grauem Haarzopf und Bart ist vielfach prämierter Schiffs-Miniaturkünstler. Mehr als 750 verschiedene Miniaturprototypen aus verschiedenen Nationen und Reedereien der Zeitspanne 1880 bis 2004 haben schon seine "Werft" verlassen, und es kommen ständig neue hinzu. Zusammen mit seiner Frau Manuela betreibt er sein Atelier CM-Miniaturen.

Mit Modellbau, wie es der Hobbybastler gemeinhin kennt - mit Schiffen der Marke Revell, Plastik und dem Duft des Klebers, den man durch eine Metallnadel pressen muss, hat das wenig zu tun. "Realkünstler" ist das treffende Wort, so Marquardt. Hunderte seiner Miniaturen befinden sich unter den rund 36 000 Exemplaren von über hundert Künstlern, die im Internationalen Maritimen Museum ausgestellt sind.

Die "Queen Mary 2" im Miniaturmaßstab 1:1250 etwa, deren Herstellung in einem Glaskasten auf Deck 9 genau dokumentiert ist, beanspruchte fast vier Monate Arbeit. Marquardt versinkt förmlich in der Tätigkeit, um mit Fingerfertigkeit aus kleinen Teilen große Träume nachzuempfinden. Manchmal durchlebt er regelrecht die Schiffsexistenz: "Ich habe tatsächlich Träume, in denen ich auflaufe, mit Sand unter meinem Bauch", erzählt Marquardt scheinbar ernst. "Aber als ich morgens aufgewacht bin, habe ich festgestellt, dass der Sandstrand aus meinem Traum eigentlich nur die Brötchenkrümel vom letzten Abendbrot waren."

Wer Deck 9 des Internationalen Maritimen Museums in der Hamburger Speicherstadt betritt, trifft zuerst auf einen ganz kleinen Glaskasten. Darin befindet sich die "Tamm 1", ein fünf Zentimeter langes Bleimodell eines Küstenmotorschiffes. Im Jahr 1933, als der Museumsgründer Peter Tamm fünf Jahre alt war, schenkte ihm seine Mutter das kleine Modell und entfachte in ihm die Sammlerleidenschaft.

Oder, wie es der Schiffsminiatur-Künstler Carlo Marquardt formuliert: "Ihn packte die maritime Infektion." Dass diese mitunter ansteckend ist, davon erfahren wir später. Die "Tamm 1" ist jedenfalls der Ursprung der umfangreichsten Schiffsminiatur-Sammlung der Welt. Im Internationalen Maritimen Museum, das die Sammlung Peter Tamms im Kaispeicher B ausstellt, sowie in deren Archiv befinden sich neben den 36 000 Miniatur- und 1000 großen Modellen 5000 Gemälde, 50 000 Konstruktionspläne, 2000 Filme, eine halbe Million Fotos, 120 000 Bücher und Atlanten und 15 000 Schiffs-Speisekarten.

Eine Ausstellung der maritimen Superlative mit Potenzial zur Überforderung. "Ich empfehle ihnen bei einem Museumsbesuch ganz oben auf Deck 9 anzufangen, weil einen diese Masse an Miniaturen sonst erst mal erschlägt", erklärt Carlo Marquardt, der seit fast zehn Jahren mit Peter Tamm zusammenarbeitet. Nachdem er in die Welt der Miniaturen, der Kriegs- und Rettungsschiffe, der Schlepper und Segelschiffe, der Passagierschiffe und riesigen Containerfrachter eingetaucht ist, kann sich der Besucher nach unten arbeiten.

Doch zurück zu Deck 9: Man staunt nicht schlecht, wenn man anhand des Schaukastens der "Queen Mary 2" erfährt, woraus diese "kleinen Riesen" eigentlich bestehen. Mit verkleinerter Tischkreissäge und Skalpell, Pinzette, Feile und ruhiger Hand bearbeitet Marquardt Schicht für Schicht das Material Polysterol. "Das Pflaster liegt immer bereit", sagt er und lacht. Bei millimetergroßen Rettungsbooten kann schon mal ein Schnitt daneben gehen. Der Künstler arbeitet nach Fotos und genauen Bauplänen der Schiffe, deren Maßstab er erst mal erstellen muss. Mithilfe des ersten Modells, des Prototyps, wird dann eine Negativform aus Kautschuk hergestellt. 0,5 bis 25 Zentimeter groß sind die fertigen Miniaturen, nachdem ein bei über 400 Grad erhitzter Zierzinn in diese Form gegossen wurde. "Ja, die Brandsalbe brauche ich auch manchmal" - doch das stört Marquardt nicht. Immerhin sind seine Miniaturen dann "aus einem Guss" und kein verklebter Bausatz.

Während Marquardt von den einzelnen Arbeitsschritten erzählt, vom Fräsen, Konzentrieren, von der Fummelarbeit, dem Feilen und Polieren, stellt sich ein etwa acht Jahre alter Junge unauffällig hinter den Hamburger und hört mit großen Augen und großen Ohren zu.

Kurzerhand drückt Marquardt dem kleinen Blondschopf mit den kurzen Hosen die Miniatur eines Containerschiffs der Hamburg Süd (siehe Foto) in die Hand: "Aber schön festhalten, am besten mit beiden Händen", rät der sympathische Schnacker dem Jungen. "Dieses Schiff wiegt ein gutes Kilo." Auf Marquardts Frage, welche Schiffe den Jungen am meisten begeistern, antwortet der gut informiert: "Seenotrettungskreuzer" - Marquardt kramt in seiner Tasche und holt eine kleine Miniatur eines Seenotrettungskreuzers heraus, um sie dem Jungen zu geben. Vielleicht ist auch er jetzt "maritim infiziert".

Der 1953 in Bergedorf geborene Carlo Marquardt kam über den Vater einer Schulfreundin zu den Schiffsminiaturen. Eine Liebe zu Schiffen und zur Seefahrt teilt er mit seinen Vorfahren, er selbst durfte aber nicht zur See fahren, da er sich um seine Familie kümmern musste. Nach einiger Zeit brach zwischen Marquardt und seinen Freunden ein richtiges "Miniatur-Wettrüsten" aus und sie fertigten ihre eigenen kleinen Modelle.

"Die ersten sahen grausig aus" - aber jeder fängt eben klein an. Und mittlerweile ist Marquardt einer der renommiertesten Schiffsminiaturkünstler der Welt. Ob die Zukunft den achtjährigen Jungen auch auf die sieben Miniatur-Meere zieht, bleibt abzuwarten. Das Deck 9 des Internationalen Maritimen Museums Hamburg ist auf jeden Fall ein guter Startpunkt.

Internationales Maritimes Museum Koreastraße 1, Di/Mi, Fr-So 10.00-18.00, Do bis 20.00, weitere Informationen unter www.cm-miniaturen.de ; www.imm-hamburg.de