Die Ärztin, Schauspielerin und Theater-Intendantin Isabella Vértes-Schütter hat durch die Musik zu einem erfüllten Glauben gefunden. Die besondere Beziehung zum Chor St. Michaelis setzt sich heute auch in ihrer Familie fort

Die Kirche ist ihr eine Heimat geworden. Genauer gesagt, die Hauptkirche St. Michaelis, in dessen berühmten Chor - unter der Leitung von Professor Günter Jena - Isabella Vértes-Schütter als 16-jähriges Mädchen aufgenommen wurde. "Hier bin ich Bach begegnet - und zum ersten Mal in meinem Leben einem Glauben, der Freude macht", sagt die Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters.

Mehr als zehn Jahre lang sang sie die großen Messen und Oratorien im Hamburger Michel, auch auf der legendären Aufnahme von John Neumeiers getanzter "Matthäus-Passion" aus dem Jahr 1980 erklingt ihr Sopran. Ihr Glaube wurde in dieser Zeit stärker, schwang sich hinauf bis zum hohen C. "Endlich hatte Religion mit Leidenschaft zu tun und nicht mehr mit Buße auf kalten Kirchenbänken."

Eine Erfahrung, die zur Entscheidung reift: 1991, anlässlich der Taufe ihres ersten Sohnes, verlässt Isabella Vértes-Schütter die katholische Kirche und wird Protestantin. Aus innerer Überzeugung. "Ich wollte meinen Kindern einen Glauben bieten, der ehrlicher ist als der meiner Kindheit."

Als Tochter eines streng katholischen Vaters mit ungarischen Wurzeln - Kaufmann bei der Flügelmanufaktur Steinway & Sons - und einer "eher atheistischen" Mutter, der Opernsängerin Helga Pilarczyk, wuchs die kleine Isabella in den 1960er-Jahren mit ihrem jüngeren Bruder in Othmarschen auf - und am Gardasee. "Meine Mutter hatte oft Engagements an der Mailänder Scala", sagt die 50-Jährige, "dann lebte die Familie in Italien." Und erlebte dort den italienischen Katholizismus.

Die kleine Isabella ging in Italien zur Erstkommunion. "Ich erinnere noch genau, dass wir alle das gleiche, schlichte Gewand trugen", sagt sie. Weil man nicht auf den ersten Blick erkennen sollte, wer aus einer wohlhabenden Familie stammt. Und weil vor Gott alle gleich sind. "Dieses Fest war ein großes Gemeinschaftserlebnis", sagt sie. Es schweißte zusammen - zum Beispiel auch Isabella und Paola, eine Freundin aus Kindertagen, die mittlerweile in Verona wohnt und mit der die Hamburgerin immer noch in Kontakt steht.

Zu Hause, an der Elbe, wurde der Glaube lange nicht so sinnlich zelebriert wie im Sonntagsgottesdienst am Gardasee. Oft habe sie beichten sollen, sagt die Sozialdemokratin, die 2011 in die Bürgerschaft gewählt wurde. "Ich sollte ständig eine Schuld eingestehen, die ich aber gar nicht empfand." Um dem Priester überhaupt eine Sünde gestehen zu können, habe sie sich oft einfach etwas ausgedacht. "Daraufhin fühlte ich mich dann aber erst recht schuldig." Eine Schuld, die auch nach drei Vaterunser und zwei Ave Maria nicht weichen wollte. "Ich wusste, dass mir in diesem Glauben etwas fehlte. Ich wusste nur nicht genau, was."

Bis Isabella Vértes-Schütter als Schülerin am Christianeum mitbekam, wie offen bei ihrer Klassenkameradin Caroline zu Hause am Abendbrottisch über heikle Fragen diskutiert wurde: "Wem nützt der Zölibat? Wie kann der Papst unfehlbar sein?" Damals habe sie zunächst nicht gewusst, dass sie mit Hamburgs wohl berühmtesten Theologenehepaar diskutierte, mit Dorothee Sölle und dem früheren Benediktinermönch Fulbert Steffensky. "Dass so frei über Gott und die Welt gesprochen wurde, das hat mir imponiert."

Befreit aus der Enge der kirchlichen Rituale fühlt sie sich schließlich als Mitglied des Michaelis-Chores. "Wenn man singt, dann betet es sich leichter", sagt sie. In schwierigen Zeiten, beispielsweise als ihr Mann Friedrich Schütter im Sterben lag, da habe sie gesungen. "Es gibt Lieder, die drücken Schmerz, aber auch Trost besser aus als tausend Worte." Angst vor dem Tod habe sie nicht, sagt die Ärztin, die - bevor sie sich für ein Leben als Schauspielerin entschied - einige Jahre in einem Hamburger Krankenhaus gearbeitet hat und die Arbeit des Kinder-Hospiz Sternenbrücke von Beginn an unterstützt hat. Sie habe sich dem Sterben oft gestellt, davor fürchte sie sich nicht. "Ich glaube, dass es nach dem Tod weitergeht. Dass wir irgendwohin gehen, wo wir aufgehoben sind."

Darüber spreche sie auch mit ihren beiden Söhnen und ihren sieben Patenkindern, denen sie Gottes Botschaft vorleben will. "Das Tröstliche am christlichen Glauben ist doch, dass Gott uns so annimmt, wie wir sind." Das sei umso wichtiger in Zeiten wie diesen, in denen die Gesellschaft jemanden danach beurteile, wie perfekt er aussehe oder wie erfolgreich er sei. "Der Glaube hilft mir, mich von diesem Druck zu befreien."

Isabella Vértes-Schütter ist eine regelmäßige Kirchgängerin - aber es muss nicht immer sonntags sein. "Kirchen sind für mich Orte der Ruhe, der Besinnung. Manchmal setze ich mich einfach nur für ein paar Minuten in eine Bank oder zünde eine Kerze an - in Gedanken an geliebte Menschen, die schon von uns gegangen sind." Das habe sie schon im Kölner Dom gemacht, in Magdeburg, Wien und Straßburg. "Überall dort, wo mein Beruf als Intendantin mich in den vergangenen Jahren so hingeführt hat", sagt Isabella Vértes-Schütter, die am 23. August mit dem Stück "Sippschaft" im Ernst-Deutsch-Theater Premiere feiert und damit bis zum 5. Oktober auf der Bühne steht.

Zu Hause bete sie oft gemeinsam mit ihrem 13-jährigen Sohn. "Das Abendgebet ist ein Ritual, auf das er Wert legt", sagt sie. Und im Michel treffen Mutter und Sohn auch oft zusammen. "Mein Sohn singt nämlich dort im Kinder- und Jugendchor", sagt die Mutter. Der Chor habe Nachwuchs gesucht, ihr Sohn die entsprechende Annonce im Hamburger Abendblatt gelesen. "Daraufhin kam er zu mir und meinte: Mama, das würde mir Spaß machen."

Sie habe sich darüber sehr gefreut, schließlich habe ihr Sohn bis dahin nicht gewusst, dass auch seine Mutter einmal in dieser Kirche gesungen hat. Selbstverständlich sei sie als Zuhörerin bei allen Konzerten dabei. "Der Michel ist eben für uns beide so etwas wie unser zweites Zuhause." Ein Stück Heimat in der Kirche.

Die Hauptkirche St. Michaelis, eine der schönsten Barockkirchen Norddeutschlands, gilt auch als wichtiges Zentrum der Kirchenmusik in Hamburg. So existieren neben dem Chor, der Kantorei und dem Kinder- und Jugendchor auch ein Posaunenchor, zwei Orchester und eine Band. Am 16.9. um 10 Uhr werden der Chor und das Orchester St. Michaelis im Gottesdienst zu hören sein mit der Bach-Kantate "Was Gott tut, das ist wohlgetan". www.st-michaelis.de