Die Hamburger Pastorin Gundula Döring ist Expertin in Sachen Stille. Aber auch sie musste den Weg des Loslassens erst erlernen

Gundula Döring organisiert regelmäßig Schweigemeditationen in der Altonaer "Kirche der Stille" und in den Gemeinden der Region Alstertal. Sie ist zudem Vorsitzende des überkonfessionellen Vereins "Oase der Stille".

Hamburger Abendblatt:

Auf einer Skala von ziemlich schwierig bis ziemlich wertvoll - wo würden Sie da die Stille verorten?

Gundula Döring:

Sehr wertvoll! Und manchmal wirklich schwierig. Denn es gibt ja eine äußere und eine innere Stille, und wenn die eine einsetzt, heißt es ja nicht gleichzeitig, dass auch die andere kommt. Man kann in bestimmten Situationen Stille einfach ganz schwer aushalten, deshalb finde ich es wichtig zu sagen, dass der Weg in die Stille auch ein Übungsweg ist. Es gibt keinen Schalter, den man umlegen kann. Für mich ist das tatsächlich ein lebenslanger Übungsweg - der Weg in die Stille.

Was ist an der Stille christlich?

Döring:

Ich glaube nicht, dass die Stille christlich ist, es gibt auch keine jüdische oder buddhistische Stille. Aber es gibt einen Aspekt an der Stille, der für mich religiös ist, und das ist die Tatsache, dass man Stille nicht "machen" kann. Es gibt eigentlich keine bessere Beschreibung dafür: Stille ist da, wenn wir aufhören zu machen - das ist für mich die Brücke zum Christlichen. Deshalb ist es heute auch so wichtig, den Weg in die Stille zu suchen: weil unsere Gesellschaft von einer Macher-Mentalität geprägt ist. Alles muss vom Menschen selber gemacht werden, Schönheit, Gesundheit, Lebensglück. Ein Strudel der Machbarkeit.

Man kann nicht alles selber machen ...

Döring:

Nein, und das wird den Menschen auch bewusst, meist in Zeiten persönlicher Krisen oder Einbrüche, die im Übrigen immer früher kommen - es gibt heute bereits 25-Jährige mit einem Burn-out. Lebenskrisen entstehen, wenn die Grenzen des Machbaren in den Blick kommen. Und dann gilt es, in einen Weg des Loslassens zu kommen, des sich Überlassens. Wenn wir in einer christlichen Sprache reden würden, wäre der Satz: Ich überlasse mich Gott. Wenn wir in einer anderen Sprache reden, die kein persönliches Gottesbild hat, dann würde ich sagen: sich dem Wirken des Lebens überlassen. Das Leben "mache" ich nicht, es ist immer schon vor mir da.

Kann man das Sich-Überlassen lernen?

Döring:

Es gibt eine Übung, die eine lange Tradition in der Meditation hat: Ich überlasse mich dem Atmen. Das klingt leicht, fällt aber am Anfang unheimlich schwer. Weil ich sofort denke: "Oh, ich muss jetzt ganz tief atmen, ich muss in den Bauch atmen", und so weiter. Und dann kommen lauter Bewertungen und Zensuren, "ich atme nicht gut, ich will besser atmen". Sitzen, atmen und nicht bewerten - das ist gar nicht so leicht.

Welche Rolle spielt Stille in der christlichen Tradition?

Döring:

Im Leben Jesu hat sie eine große Rolle gespielt. Zum Beispiel ging er 40 Tage in die Wüste, bevor er beschloss, in die Öffentlichkeit zu gehen, und ganz oft ist in den Evangelien die Rede davon, dass er sich auf einen Berg zurückzieht, um zu beten. Im Grunde hat Jesus vorgelebt, was es heißt, sich ganz Gott zu überlassen. Aber auch er hat darum gerungen. Das wird deutlich in der Gethsemane-Szene, wo er kurz vor seiner Verurteilung bittet: "Lass diesen Kelch an mir vorübergehen." Und dann kommt die zentrale Stelle: "Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst."

So zielen auch die Übungen zur Stille darauf hin, eins werden zu wollen mit dem, was in christlicher Sprache "Willen Gottes" genannt wird. Wo ein starkes Ego darauf aus ist, sich durchzusetzen, da hat der Wille Gottes nicht viel verloren.

Wobei das Bestimmen im Menschen ja ganz tief verankert ist ...

Döring:

Natürlich kommt es im Alltag immer wieder darauf an, sich durchzusetzen. Doch es ist auch notwendig, diese Macht aus der Hand zu legen. Das kann beängstigend, sein, weil es Kontrollverlust bedeutet. Aber es kann zu großem Getragensein führen.

Werden Kirchen als Orte der Stille in Hamburg angenommen?

Döring:

Ich glaube, dass Kirchen in Hamburg in dieser Hinsicht noch viel mehr Potenzial hätten. Gewohnt ist man ja, einen Gottesdienst zu besuchen, der einem festgelegten Ablauf folgt: Predigt, Lied, Gebet, Lied - immer im Wechsel. In einem normalen Gottesdienst haben Sie ja kaum mal 30 Sekunden Stille. Deshalb fände ich das eine spannende Frage: Wie könnten wir unsere Häuser nutzen als Orte der Stille? Mit einem offenen Raum wäre ja schon viel gewonnen. In manchen Kirchen, die alltags offen sind, werden bereits Hilfestellungen gegeben: kurze Texte, die zur Meditation einladen. Oder man kann eine Kerze anzünden - alles Dinge, die helfen können, der Kraft der Stille zu trauen.

Wie könnte das konkret aussehen?

Döring:

In Wellingsbüttel gibt es zum Beispiel das Angebot "Oase der Stille" direkt im Kirchraum, den wir dafür ein kleines bisschen umgestalten: Wir "sitzen" dreimal 20 Minuten in der Stille. Auch die Karmelitinnen auf Finkenwerder laden mehr als 20-mal im Jahr zu einem "Stille-Tag" ein. Feste Zeiten könne die Brücken sein vom äußeren Lärm in die innere Einkehr.

Viele Menschen schaffen ja nicht einmal im Schlaf den Ausstieg aus dem Gedankenkreisel ...

Döring:

Es geht ja auch nicht darum "etwas zu schaffen". Manchmal ist sie einfach da, die Stille. Ganz unverhofft.

Weitere Infos unter www.oase-der-stille.org