mit Johann Hinrich Claussen über das Drama um den Tannenbaum. Wie lange soll er stehen bleiben?

Große Menschheitsdramen entzünden sich oft an kleinen Fragen. Zum Beispiel dieser: Wie lange soll der Weihnachtsbaum stehen bleiben? Wie viele Kinder haben dicke Tränen geweint, weil plötzlich der Baum weg war! Wie viele Ehen stürzten in tiefe Krisen, weil bei der Frau der Reinigungstrieb schneller über die Weihnachtsfreude obsiegte als beim Mann!

Es ist also eine gewichtige Frage, wann der Zeitpunkt gekommen ist, den Baum aus dem Haus zu schaffen. Tut man es zu früh, vertreibt man den feierfreudigen Teil der Familie zur Unzeit aus dem Paradies. Tut man es zu spät, entwickelt der nüchternere Teil eine irreversible Weihnachtsallergie.

Es ist also ratsam, sich rechtzeitig über diese Schicksalsfrage zu verständigen. Und es empfiehlt sich, dies in einem breit angelegten Beteiligungsprozess zu tun. Denn wenn nur ein Familienoberhaupt eine unabgestimmte Entscheidung fällt, kann dies böse Folgen haben.

Es soll schon vorgekommen sein, dass wilde Wutkinder sich an den geliebten Baum angekettet haben, derweil die aufräumlustige Mutter in den Keller stieg, um die Kettensäge zu holen. So weit darf man es nicht kommen lassen.

Meiner Meinung nach leidet unsere Festkultur an Kurzatmigkeit. Weihnachten braucht nicht nur einen Vorlauf - den Advent als Zeit der ruhigen Einstimmung. Es braucht auch eine Zeit danach, um die Freude ausklingen zu lassen.

Für viele ist der 24. Dezember leider Höhe- und Endpunkt zugleich. Das liegt an unserer Konsumkultur, die Event an Event klatscht. Das familiäre Weihnachtszimmer jedoch ist keine Kaufhausauslage, die sofort nach Heiligabend umdekoriert werden muss, sondern ein Ort, an dem ein Fest nicht konsumiert, sondern genossen wird. Und dafür braucht es Zeit.

Also, wenn man mich fragt: Lasst den Tannenbaum bis Maria Lichtmess, also bis zum 2. Februar, stehen, denn so lange dauert nach guter alter kirchlicher Sitte das Weihnachtsfest.

Bei den hochgezüchteten Tannen dürfte das heute eigentlich kein Problem mehr sein.

Mal sehen, ob ich mich mit dieser Meinung zu Hause oder in meiner Kirchengemeinde St. Nikolai durchsetzen kann.