Der eine glaubt an sich, der Nächste an die Liebe - und viele auch an Gott. Glauben scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Die Jugend Akademie Neu Allermöhe und die Junge Akademie für Zukunftsfragen haben in einem Projekt 150 Hamburgern die Glaubensfrage gestellt. Diesmal kommentiert Jörg Herrmann, Leiter der Evangelischen Akademie Hamburg, zwei der Antworten

"Ich glaube, niemand ist grundsätzlich böse."

Andreas, 50, Polizist

Kommentar Jörg Herrmann:

Niemand wird böse geboren. Zu Anfang sind wir unbeschriebene Blätter, ein Bündel reiner Möglichkeiten. In christlicher Perspektive: von Gott geliebt und dazu bestimmt, die Erfahrung der Liebe weiterzugeben. Aber in der Realität machen wir auch andere Erfahrungen mit uns selbst und anderen: Es gibt böse Gedanken, böse Taten und hasserfüllte Menschen. Gerade hat uns die Zwickauer Terrorzelle diese traurige Realität wieder erschreckend vor Augen geführt. Fast 14 Jahre waren die drei Neonazis abgetaucht und sind mordend durch Deutschland gezogen. Angesichts ihrer Taten regen sich Zweifel an dem Satz von Andreas. Ist wirklich niemand grundsätzlich böse?

Theologisch gesehen sind wir, so formulierte es Paulus, allzumal Sünder und ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Wir sind unvollkommen. Und das Böse ist eine menschliche Möglichkeit. Aber ob diese Möglichkeit Realität wird, hängt von vielen Faktoren ab. Wichtig sind die Erfahrungen, die Menschen machen, wenn sie groß werden. Wir wissen, dass Gewalttäter oft selbst Gewaltopfer in ihrer Kindheit und Jugend waren. Aber daraus darf keine Entschuldigung abgeleitet werden. Jeder ist für seine Handlungen verantwortlich. Sicher haben es manche schwerer, aus dem Teufelskreis der Gewalt auszubrechen. Wir können ihnen helfen, wenn wir, wie Andreas, davon ausgehen, dass niemand grundsätzlich böse ist, dass jeder Mensch nach Anerkennung und Zuwendung strebt. Wenn wir unsere Mitmenschen so sehen und ihnen mit Offenheit und ohne Vorurteile begegnen, können wir das Gute stärken.

"Ich glaube, dass jeder Mensch ein Talent hat."

Johanna, 36, Grafikerin

Kommentar Jörg Herrmann:

Ich stimme Johanna zu. Jede und jeder hat ein Talent, eine Begabung, eine Fähigkeit. Dieses Talent kann man nicht durch Leistung erwerben. Man hat es mitbekommen, es ist ein Geschenk. Allerdings hat nicht jeder das gleiche Talent. Man braucht sich ja nur umsehen: Kann der eine gut Fußball spielen, so hat eine andere Sinn für Musik. Vor Gott sind alle Talente gleich viel wert. Aber die Menschen gehen sehr unterschiedlich mit ihren Talenten um. Die einen machen etwas aus ihren Fähigkeiten, andere kümmern sich zu wenig um ihre Möglichkeiten - so wie der ängstliche Knecht aus dem Talente-Gleichnis im Neuen Testament (Mt 25), der sein Talent vergräbt. Er kommt am Ende schlecht weg. Auch sein eines Talent wird ihm noch genommen, als sein Herr wiederkommt und Rechenschaft von ihm fordert. Darin steckt Allgemeingültiges: Talente, die nicht entwickelt werden, verkümmern. Am Ende sind sie vergraben und vergessen.

Doch Gott möchte, dass wir unsere Talente achten und entfalten. Wie kann das gehen? Zwei Dinge scheinen mir wichtig. Wir müssen viele Erfahrungen machen, um herauszufinden, was wir gut und gerne tun. Und dann müssen wir das, was uns liegt, entwickeln und entfalten. Dafür gibt es ein einfaches Rezept: Durch Übung zur Meisterschaft. Ein Talent ist eben nicht nur eine Gabe, es ist zugleich eine Aufgabe. Und die hat mit Wiederholung und Anstrengung zu tun, mit Übung. Ist es nicht eine tolle Erfahrung zu sehen, dass man durch Übung etwas erreichen kann, was man sich zunächst nie zugetraut hätte?