Julian Sengelmann ist Theologe. Und eigentlich will er Pastor werden. Doch davor steht noch die Karriereals Sänger und Schauspieler. Über einen, der so viele Talente hat, dass es Fluch und Segen zugleich ist

Julian Sengelmann will sich einfach nicht entscheiden. Der 29 Jahre alte Theologe ist auf dem Weg, Pastor zu werden - eigentlich. Denn er ist auch auf dem Weg, sich als Sänger und Schauspieler einen Namen zu machen. Der Hamburger ist mit so vielen Talenten gesegnet, dass es Fluch und Segen zugleich ist. Bei seinem Anblick hat die Moderatorin Barbara Schöneberger in ihrer unnachahmlichen Art ausgerufen: "Wenn evangelische Theologie so aussieht, dann lasse ich mich auch noch taufen". Sie hatte ihn im Frühjahr zur NDR-Talkshow eingeladen, weil singende, schauspielernde und promovierende Pastorenanwärter einfach selten hierzulande sind. Ein Popstar auf der Kanzel, das ist doch mal was anderes.

"Für manche in der christlichen Szene bin ich ein zu bunter Hund, die meinen, ich soll mich auf eine Sache konzentrieren, aber das kann ich nicht. Noch nicht", sagt Julian Sengelmann. Manchmal kann er seine Interessen verbinden, wenn er wie kürzlich im September mit seiner Band Feinkost bei der Hamburger "Nacht der Kirchen" auftritt oder in seiner Heimatkirche St. Johannis Harvestehude zu Weihnachten Lieder vorsingt. Hat die Pastorin Urlaub, predigt Sengelmann hier auch schon mal.

Ansonsten reist er mit seiner Männer-Band Feinkost auf Konzerttour durch die Welt. Er singt dann Balladen von der Liebe, nicht vom Glauben - "Sakropop passt nicht zu uns" -, schiebt Drehtage ein für Serien wie "Türkisch für Anfänger" oder auch die "Küstenwache". Es ist eine Welt, die kaum weiter entfernt von der Kirche sein könnte.

"In zehn Jahren vielleicht, da möchte ich Gemeindepastor sein, eine Familie haben, vielleicht mit meiner Freundin Maxi. Doch vorher muss ich noch Lebenserfahrung sammeln, oder?", sagt er mit einem fragenden Blick. Seine Selbstsicherheit gerät für einen Moment ins Wanken.

Schließlich ist die Theologie nicht seine erste Wahl gewesen, sondern erst die dritte. "Doch im Nachhinein die beste Entscheidung meines Lebens", sagt er. Dabei hat er sie eher aus Mutlosigkeit getroffen, oder vielleicht auch aus einem Sicherheitsdenken heraus. "Ich hatte mich bei allen Schauspielschulen Deutschlands beworben, war mehrfach eingeladen und bin dann doch zu keinem Vorsprechen gegangen. Ich habe mich nicht getraut." Er hätte keine Absage ertragen, gibt er offen zu. Auch die Träume einer Sängerkarriere waren mit dem Auseinanderbrechen seiner Schulband zerplatzt. "Ich stand nach dem Abitur vor einem gefühlten Nichts. Ich hatte das Gefühl: So, jetzt ist die Party vorbei. Ein Tiefpunkt", sagt er.

Ein ungewohntes Gefühl, das Julian Sengelmann so nicht kennt. Er ist einer mit einer harmonischen, "sehr glücklichen" Kindheit in Pöseldorf. Der Vater ist Rechtsanwalt, die Mutter Physiotherapeutin. Er ist der Jüngste von insgesamt vier Geschwistern. Sein Abitur hat er auf dem Johanneum gemacht. Er war beliebt, sportlich und dennoch fühlte er sich nicht wirklich zugehörig. "Ich musste mich abgrenzen." Deswegen ging er weder zum Hockey noch in den Ruderklub an der Alster, sondern zu den Pfadfindern. "Das war in der Schulszene eher uncool." Aber ihm gefiel, dass es dort egal war, "was du bist und wo du herkommst". Außerdem glaubt er, dass die Pfadfinder ihn mit ihrem Hang zur Einfachheit des Lebens und zur Natur davor bewahrt haben, "ein Großkotz zu werden".

Zum Konfirmandenunterricht ging Sengelmann in die weiter entfernte Kirche St. Johannis. Ein wunderschöner Backstein-Bau von 1882, mit neugotischen Bögen und prächtigen Sandsteinreliefs. Eine Kirche, in der Kultur einen hohen Stellenwert hat. "Allerdings hatte ich bis zu dem Zeitpunkt mit Kirche wenig am Hut. Meine Eltern waren eher Weihnachtsgottesdienst-Christen." Er traf dort in Pastor Thies Gundlach, heute Vizepräsident der EKD, ein Gegenüber, das seinen Intellekt anspornte, zur zweiten Vaterfigur wurde. Seine lebensnahen Predigten, "diese Wortkunstwerke", berührten ihn.

"Ich habe in diesem Kirchenraum zu Gott gefunden, das war so mit 14", erinnert er sich. "Die Orgelmusik hatte die ganze Kirche erfüllt und ich war ganz plötzlich von dieser Atmosphäre mit allen Sinnen erfüllt. Ein wahnsinniger Glücksmoment."

Er kommt inzwischen oft hierher, setzt sich immer in den Schatten der Kanzel. "Das ist wie mein Zuhause." Er hat sogar einen Schlüssel. Deswegen ist er manchmal sogar nachts da und sucht das Zwiegespräch mit Gott. "Ich klimpere oft auch einfach nur auf dem Klavier im Altarraum und singe. Die Akustik ist hier echt gewaltig."

Er ging mit 15 Jahren in die Jugendgruppe der Gemeinde, die er heute gemeinsam mit einer Freundin leitet. Egal wo er die Woche über ist, er versucht immer mittwochs im Gemeindehaus zu sein. "Ich will für die Jugendlichen einen Ort schaffen, wo sie durchatmen können. Zurückgeben, was ich selber hier an Geborgenheit erfahren habe", beschreibt Sengelmann seine Motivation.

Aber es gäbe auch ein paar egoistische Gründe: "Ich habe Sehnsucht nach einem Fixpunkt im Leben, weil ich so viel unterwegs bin", sagt er und lässt damit durchblicken, dass diese Vielseitigkeit seines Alltags ihn doch manchmal innerlich zerreißt.

Doch Zweifel gehören zu seinem Leben, der Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidungen, der Zweifel auch an seinem Glauben - "nicht an Gott", wie er betont. "Ich bete täglich, frage mich, ob ich es Gott recht machen kann."

Kritik, Hinterfragen, Verzweifeln, das gehört wohl auch zum Theologiestudium. "Das hat uns unser Hamburger Professor am ersten Tag prophezeit." Wohl auch deswegen haben mit ihm nur zwei von ursprünglich 40 Erstsemestern das Studium beendet.

Nicht ganz uneitel hofft Julian Sengelmann, dass die evangelische Kirche Menschen wie ihn ganz gut gebrauchen kann. Kultur in die Kirche zu bringen, das ist sein Anliegen. Und Schauspieltalent sowie eine kräftige Stimme haben auf der Kanzel ja auch noch nie geschadet.

Informationen zur Kirche unter www.st-johannis-hh.de