Der legendäre Pianist Jacques Loussier kommt mit seinem Trio nach Hamburg

Improvisieren und Komponieren, es gab Zeiten, in denen das Hand in Hand ging. Wurde in Europa bereits im Mittelalter über Melodien und in der Renaissance verzierend improvisiert, so galt die Improvisation im Barock sogar als elementar. Auch Mozart beherrschte die Kunst der Improvisation, selbst dem einen oder anderen Beethoven-Werk ist das spontane "Dahingeworfensein", der Akt des bloßen "Losspielens", noch anzuhören. Später blieb diese hohe musikalische Fähigkeit allenfalls in der Nische der Konzertkadenz oder den Kirchenorganisten erhalten. Stattdessen wühlten und wühlen sich Millionen von Musikern durchs "korrekte Notenbild", von einer Vielzahl an Kritikern aufmerksam beäugt.

Das Wort Improvisation kommt vom italienischen "improvviso", plötzlich, unerwartet. Im standardisierten Konzertbetrieb der 50er-Jahre musste da ein junger Pianist auffallen, der mit dem Notentext recht freizügig umging. Sein erstes Bachstück hatte Jacques Loussier zum Verdruss der Familie über 40-mal nacheinander gespielt. "Und dann ist es passiert: Ich habe kleine Veränderungen ausprobiert." Diese "kleinen Veränderungen" behielt er auch als Student beim berühmten Yves Nat in Paris bei. Und dass Loussier zum Gelderwerb in Pariser Nachtklubs oder bei Charles Aznavour spielte, kam dem originalen "Notentext" sicher auch nicht gerade zugute. Ein Konzert des Modern Jazz Quartet schließlich brachte die endgültige Entscheidung: Die Jazzer spielten Jazz, als ob es Bach wäre. Loussier wollte Bach spielen, als ob es Jazz wäre.

Schließlich entdeckte ein Londoner Plattenproduzent das swingende Treiben mit Präludien. Eine Legende wurde geboren: Das Trio Play Bach mit Pierre Michelot und Christian Garros verkaufte zwischen 1959 und 1999 über sechs Millionen LPs. Jährlich 200 Konzerte forderten freilich ihren Tribut: 1978 zog sich Loussier auf seinen provençalischen Landsitz zurück. Dort pflegte er den Weinanbau, betrieb ein Studio, in dem Pink Floyd oder Sade aufnahmen, und experimentierte mit elektronischer Musik.

Als Loussier 300 Jahre nach Bachs Geburt diesen 1985 neuerlich im Swinggefühl präsentierte, dazu noch mit seinen "eigenen" größten Hits, konnte er auf ein verändertes Hörgefühl im Musikbetrieb vertrauen. Und darauf, dass seine neuen Begleitmusiker auch neue Ideen mitbrachten. André Arpino, Schlagzeug, und der Bassist Vincent Charbonnier, nach einem Schlaganfall 1998 abgelöst von Benoît Dunoyer de Segonzac, begründen die "2. Karriere" von Jacques Loussier. Neben Bach kommen andere Komponisten ins Spiel, Vivaldi, Ravel und Debussy, Händel und Beethoven, Mozart-Klavierkonzerte und, künstlerisch am bedeutsamsten, Werke von Erik Satie. Loussier erweitert sein Spektrum aber nicht nur durch neue Musiker und "neue" Komponisten; zuweilen verlässt er sogar sein angestammtes Jazztrioformat und musiziert mit dem klassischen Klavierduo Pekinel, mit dem Sänger Bobby McFerrin oder Dave Brubeck.

Nach über 50 Jahren im Dienst des swingenden Barock ist Loussier selbst zum Klassiker geworden. Immer wieder und immer öfter erforschen (oder auch plündern) Musiker die klassische Musik mit den Mitteln des Jazz, immer mehr klassische Musiker versuchen sich an Jazzstandards und Improvisationen. Der einstige Trendsetter wiederum widmete sich klassischen Kompositionen, schrieb unter anderem ein Violin- und ein Trompetenkonzert, eine "Barocke Messe des 21. Jahrhunderts", die Soundtracks für über 100 Filme und Serien. Dabei war und ist der 77-Jährige kein Bilderstürmer. Er achtet die Tradition, mit schrägem Zeitgenössischem kann man ihn jagen. "Für mich ist die Melodie das A und O. Schönheit ist das Einfache." Als Bach-Interpret bewundert Loussier Glenn Gould. Dieser wiederum kommentierte seinen Verehrer einmal: "Play Bach is a good way to play Bach." Bach sei ihm "zum engsten Freund geworden" und nach wie vor eine "großartige Inspirationsquelle", sagt Loussier. Was kann man mehr vom besten Freund verlangen?

Jacques Loussier Trio 13.12, 20.00 Uhr, Hauptkirche St. Michaelis. Karten unter T. 01805/44 70 (max. 14 Ct./Minute aus dem dt. Festnetz, max. 42 Ct./Minute aus allen Mobilfunknetzen)