mit Johann Hinrich Claussen über Friedhöfe, als Spiegel für die Menschlichkeit eines Ortes

Manche mögen es für eine morbide Marotte halten, regelmäßig Friedhöfe zu besuchen - gern und einfach nur so. Dabei sprechen gute Gründe für diese Angewohnheit: Wie es um das Leben eines Ortes bestellt ist, erkennt man nicht zuletzt daran, wie man dort mit den Toten umgeht. Ob man ihr Angedenken pflegt, ihnen einen schönen Platz schenkt, sie besucht, sich bei ihnen trifft - das ist kein schlechter Indikator für die Menschlichkeit eines Ortes. Auch seine verborgenen Eigentümlichkeiten - seine Vorstellungen von Hoffnung, Schönheit, Würde und Ordnung - werden hier offenbar. Letzteres gilt besonders für Deutschland mit seinen peinlich genauen Bestattungsrichtlinien.

Auf den historischen Friedhöfen in Paris kann man stundenlang an monumentalen Mausoleen, flamboyanten Obelisken und prunkvollen Skulpturen entlang flanieren, sie bewundern oder sich auch darüber wundern, warum damals die Prestigesucht der Reichen so weit über den Tod hinausreichte - und heute nicht mehr. Wer Berlin besucht, kommt der Geschichte dieser zerrissenen Metropole am besten auf den vielen kleinen Friedhöfe auf die Spur. Besonders den Invalidenfriedhof sollte er nicht versäumen. Hier ruhten liberale Geister neben NS-Granden, bis das DDR-Regime seine Mauer mitten durch den Friedhof schlug. Heute wächst er wieder zusammen - langsam, so wie die ganze Stadt. Wenn man in die Alpen oder nach Südeuropa reist, findet man überall anrührende Kleinfriedhöfe in der Mitte des Dorfes, gleich neben der Kirche. Hier liegen die Toten dicht beieinander. Von den Grabsteinen schauen einen auf Keramik gezogene Fotoporträts stumm an. Das kennt man bei uns nicht, auch nicht die ewigen Lichter und Weihwasserbehälter. Das ist schade, denn wer Kerzen anzündet oder Segenswasser auf Stein und Boden sprengt, kann aus Grabpflege ein Gebet werden lassen - für die Toten und für sich selbst.

Der schönste Friedhof aber befindet sich in Hamburg. Es ist der Ohlsdorfer Friedhof - der größte Parkfriedhof der Welt. Ich habe immer den Eindruck, dass er das ganze Jahr über grün ist. Auch das ist ein sinnhaftes Symbol: der Friedhof als weiter, fruchtbarer Garten. Er ist eben keine Wüste. Der Friedhof lebt.