Der eine glaubt an sich, der Nächste an die Liebe - und viele auch an Gott. Glauben scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Die Jugend Akademie Neu Allermöhe und die Junge Akademie für Zukunftsfragen haben in einem Projekt 150 Hamburgern die Glaubensfrage gestellt. Diesmal kommentiert Stephan Loos, Direktor der Katholischen Akademie Hamburg, zwei der Antworten

"Ich glaube an das Schlechte im Menschen."

Louise, 22 Jahre

Kommentar Stephan Loos:

Widerspruch ist meine erste Reaktion. Ich muss an Anne Frank denken, die angesichts der Nazigräuel am 15. Juli 1944 drei Wochen vor ihrer Verhaftung in ihr Tagebuch schrieb: "Doch ich halte daran fest, trotz allem, weil ich an das Gute im Menschen glaube." Was trennt die beiden jungen Frauen? Wie konnte Anne Frank kurz vor ihrer Ermordung an das Gute glauben? Und warum glaubt Louise heute in weit weniger bedrohlichen Verhältnissen an das Schlechte?

Aber was maße ich mir an. Hat nicht jeder ein Recht auf seine eigene Erfahrung und Wahrnehmung des Menschen? Die gilt es ernst zu nehmen - wie auch das Album "Emopunkrap" von Private Paul mit dem Track "Das Schlechte im Menschen", der das Gefühl einer Generation wiederzugeben scheint. Ob als Zitat oder eigene Erfahrung: das Schlechte im Menschen ist nicht zu leugnen. Die großen Menschheitserzählungen, auch die Bibel sind voll davon. Aber das Neue Testament lässt uns auch wissen, dass wir trotz allem von Gott angenommen sind.

Sind es also nur zwei Perspektiven auf dasselbe? Wie für den einen das Glas halber, für den anderen halbvoll ist, glaubt die eine an das Gute, die andere an das Schlechte im Menschen.

Klar, wer an das Schlechte glaubt, wird nicht enttäuscht. Es kann nur besser werden. Aber trägt das auf Dauer? Möchte ich selbst zuerst nach dem Schlechten in mir beurteilt werden? Meine Erfahrung lehrt mich, dass wir miteinander weiterkommen, wenn ich dem Anderen zunächst das Gute zutraue. Für die einen mag dies wie ein ungedeckter Scheck, den anderen als wirklichkeitsfremd erscheinen. "Doch ich halte daran fest, trotz allem, weil ich an das Gute im Menschen glaube."

"Ich glaube an Wissenschaft und Technologie."

Manuel, 23 Jahre

Kommentar Stephan Loos:

Mich fasziniert Manuels Aussage - und sie lässt mich gleichzeitig schaudern. Das Plädoyer für Wissenschaft und Technologie beeindruckt mich, weil es Ausdruck einer Sehnsucht ist: der Sehnsucht, die Welt zu verstehen. Zugleich erschreckt mich der Optimismus in dieser "Glaubensaussage". Kann man nach Fukujima und all den anderen technischen Katastrophen noch an Wissenschaft und Technologie glauben? Nein, ich kann es nicht. Zu oft hat Technik versagt, zu sehr Forscher ihr Wissen missbraucht - zum Schaden von Mensch und Natur.

Ich glaube an einen Gott, der die Welt und mit ihr den Menschen geschaffen hat, der danach strebt, diese Welt zu verstehen; der sich nicht zufrieden gibt, sondern weiterfragt und die äußersten Enden des All ebenso wie die kleinsten Zellen unseres Organismus erforscht. Oft meinte die Kirche, die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft stünden in Gegensatz zu dem Glauben an Gott.

Sie irrte. Denn der Gott, an den wir Christen glauben, ist kein Lückenbüßer. Gott, der mit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis kleiner wird (bis er eines Tages wegerklärt ist). Nein, sein Geheimnis als Grund von allem bleibt und lässt uns umso mehr staunen.

Mich faszinieren Wissenschaftler wie der aktuelle Chemie-Nobelpreisträger, der sagte, dass ein guter Wissenschaftler bescheiden bleiben müsse. Man soll nicht aufhören zu fragen und zuforschen, und auch nicht bescheiden zu sein, denn Wissen bedeutet Macht. Was ich aber mit meinem Wissen und meiner Macht will, soll und darf, diese Einsicht liegt außerhalb wissenschaftlicher Erkenntnis. Hierfür muss ich auf mein Gewissen hören.