In anderen europäischen Metropolen wird das Gefährt auf der Schiene zum Aushängeschild, nur in Hamburg fehlt dieses wichtige Verkehrsmittel noch

Hamburg. Wenn die schneeweißen Alsterdampfer über das Wasser gleiten, mag mancher Tourist die Stadt um ihr attraktives öffentliches Nahverkehrsmittel beneiden. In anderen Städten gleiten die Schmuckstücke nicht auf Gewässern, sondern auf Schienen durch die Citys: Stadt- oder Straßenbahnen erleben seit Jahren europaweit eine Renaissance und werden in manchen Metropolen zu deren Aushängeschildern. Hamburgs Stadtväter setzen stattdessen auf hochmoderne Doppelgelenk- und sonstige Busse - und auf Alsterdampfer.

Der Hamburger öffentliche Nahverkehr schneidet im nationalen und internationalen Vergleich sehr gut ab. So wohnen deutlich mehr als 90 Prozent aller Einwohner der Stadt nicht weiter als 300 Meter von einer HVV-Haltestelle mit mindestens stündlichen Taktzeiten entfernt. Diese Tatsache floss positiv in die Finalrunde um den Titel der Europäischen Umwelthauptstadt ein. Drei Mitbewerber überschritten ebenfalls klar die 90-Prozent-Marke (Amsterdam, Kopenhagen, Freiburg), drei weitere lagen knapp darunter (Münster, Stockholm, Oslo) und nur einer, die englische Stadt Bristol, blieb mit rund 70 Prozent auf der Strecke.

Auch Prof. Klaus Schlabbach von der HafenCity-Universität (HCU) bescheinigt dem Verkehrsverbund ein gutes Angebot. Er lehrt "Verkehrswesen und Infrastruktur" und weist darauf hin, dass manche Buslinien der Stadt an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Das bremse auf einigen Hauptlinien ein weiteres Wachstum.

Beispiel Metrobuslinie 5 vom Hauptbahnhof bis Niendorf Markt oder Nedderfeld: Mit täglich etwa 60 000 Fahrgästen gilt sie als die meistfrequentierte Buslinie Europas. Während eine Buslinie nach Zahlen der Internationalen Union für den öffentlichen Verkehr UITP zu Stoßzeiten innerhalb einer Stunde 9000 Fahrgäste befördern kann, sind es bei der Straßenbahn 22 000. Schlabbach: "In Deutschland gibt es 15 Großstädte mit einer halben Million Einwohnern und mehr. 14 davon haben eine Straßenbahn, nur eine nicht: Hamburg."

Dieses Alleinstellungsmerkmal betonte auch Hochbahn-Chef Günter Elste in einem Plädoyer für die Stadtbahn Anfang dieses Jahres vor der Hamburger Bürgerschaftswahl. Damals meinte er zur ablehnenden Haltung des SPD-Bürgermeisterkandidaten Olaf Scholz: "Er wird sich mit den Argumenten pro Stadtbahn auseinandersetzen und zum richtigen Schluss kommen." Doch die Finanzknappheit legte das Projekt auf Eis. Für den ersten Streckenabschnitt, der Bramfeld mit Eppendorf verbinden soll, wäre knapp ein Drittel des Geldes in die Hand zu nehmen, das die Stadt (nach derzeitigem Stand) für den Bau der Elbphilharmonie ausgibt.

"Größere Städte setzen Busse und Straßenbahnen ein, und Agglomerationen wie München oder Berlin nutzen in der Regel die ganze Bandbreite aus Bussen, Stadtbahnen sowie U- und S-Bahnen", sagt Schlabbach. Jedes Verkehrsmittel hat seine Aufgabe: Die Busse holen die Fahrgäste dank ihres engmaschigen Netzes fast vor der Haustür ab, die U- und S-Bahnen befördern eine große Zahl Passagiere (pro Stunde um die 50 000) quer durch die Stadt. Dazwischen rangieren Straßenbahnen als verkehrpolitische Zwitter, die mit mittelgroßen Kapazitäten mittellange Fahrstrecken abdecken.

Die schönste Straßenbahn fährt im französischen Lyon, findet Klaus Schlabbach: "Die Stadt hat eine lange Tradition in der Seidenweberei. Diese zeigt sich im Design der Bahnen: Sie fahren wie überdimensionale weiße Seidenraupen durch die Stadt." Solche Citybahnen seien nicht nur Transportmittel, betont der Verkehrsexperte: "Sie beeinflussen das Stadtbild. Viele Städte setzen futuristisch anmutende Züge auf die Schienen, bauen Haltestellen, die fast schon Kunstwerke sind, und machen die Stadt nicht nur unter dem Aspekt der Mobilität, sondern auch für die Betrachter attraktiver."

Gerade französische Städte machten vor, welches Spektrum Stadtbahnen bieten, so Schlabbach. Als eine der ersten habe sich Nantes - Umwelthauptstadt 2013 - im Jahr 1991 ein modernes Stadtbahnsystem zugelegt. 1994 folgten Straßburg und viele andere Städte. In diesem Frühjahr starteten Straßenbahnen in Reims und Angers. Eine besondere Bahn verkehre in Clermont-Ferrand am Zentralmassiv, so Schlabbach: "Die Stadtbahn fährt auf Gummireifen und ist dadurch unschlagbar leise."

Viele Großstädte stehen vor dem Verkehrsinfarkt, Lärm und Schadstoffe belasten die Bürger. Eine nachhaltige Mobilitätspolitik setzt auf den sogenannten Umweltverbund: auf die Mobilität zu Fuß, per Fahrrad, im Bus oder mit der Bahn. Ein wichtiger Faktor ist die Infrastruktur, etwa angenehme Fuß- und Radwege sowie eine Straßenverkehrsführung, die es den Bussen und ihren Passagieren ermöglicht, pünktlich an ihr Ziel zu kommen.

Klaus Schlabbach beschreibt, wie der öffentliche Nahverkehr (noch) attraktiver wird: "Der Mensch ist ein Augentier, das Verkehrsmittel muss erst einmal gut aussehen. Dann sollte es komfortabel sein. Dazu gehören auch die Haltestellen. Weiterhin muss das Verkehrsmittel ähnlich schnell wie das Auto und zudem erschwinglich sein."

Eine Umfrage des Zukunftsrates Hamburg zum nachhaltigen Konsumverhalten der Bürger zeigte kürzlich, dass Befragte, die per Auto zur Arbeit/Ausbildung fahren, sich vor allem durch niedrigere Fahrpreise motivieren lassen würden. Auf Rang zwei kam das Kriterium "mehr Sicherheit", dicht gefolgt von "bessere Anschlüsse" und "Fahrradmitnahme immer".

Öffentliche Verkehrsmittel, die Straßen befahren, also Busse und Stadtbahnen, konkurrieren mit Autos und Lkw um den häufig überlasteten Straßenraum. Die Stadt Hannover habe gezeigt, dass es auch anders gehe, betont Schlabbach, dank der "dynamischen Straßenraumfreigabe": An Engstellen, an denen Autos, Busse und Straßenbahnen nur durchkommen, wenn sie dieselbe Fläche nutzen, sorgen Signalanlagen für Ordnung. Diese werden so gesteuert, dass eine Straßenbahn sich vor einen Autopulk setzt, sodass alle hintereinander zügig vorankommen. Das System, so Schlabbach, helfe allen Verkehrsteilnehmern. Den vorhandenen Raum per Signalsteuerung optimal zu nutzen sei sinnvoller als separate Busspuren. Schlabbach: "Fahren Sie spätabends mal auf der Metrobusroute von der City nach Niendorf. Dann sehen Sie breite leere, beleuchtete Straßen, die an Landebahnen erinnern."

In Zukunft, so der HCU-Professor, werde es ohnehin wieder mehr Platz auf den Straßen geben: "Seit zwei Jahren geht die Zahl der zurückgelegten Autokilometer in Deutschland zurück. Und Verhaltensstudien haben gezeigt, dass bei Jugendlichen das Auto als Statussymbol abgelöst wurde von Elektronikgeräten. Wenn die jungen Leute ein Auto brauchen, dann mieten sie sich eines oder wenden sich an ein Carsharing-Projekt." Verkehrsplaner müssten diesen Trend berücksichtigen - Flächenkonflikte, wie sie etwa bei der Hamburger Stadtbahnplanung am Winterhuder Markt auftreten, würden sich zukünftig abschwächen.

Spanienurlauber können schon heute das Verkehrsmittel Stadtbahn testen: Teneriffas Hauptstadt Santa Cruz weihte vor vier Jahren ihre erste Stadtbahnlinie ein, und auf Mallorca fahren "Tramtrains", ein Mix aus Stadt- und Regionalbahnen, die das Umland erschließen. Sind die Urlauber wieder daheim, verlocken vorerst nur schnelle U- und S-Bahnen, XXL-Busse mit kurzen Takten und ein dichtes Busnetz zur umweltfreundlichen Mobilität. Und natürlich Alsterdampfer.