Vieles ist in Bewegung. Das Auto hat heute als Statussymbol ausgedient. Die mobile Gesellschaft sucht Alternativen. Einige sind bereits mit Erfolg erprobt

Hamburg. "Stimmt das, was Papa immer erzählt hat? Dass ihr Öl früher einfach verbrannt habt?" In dem Wirtschaftsthriller "Ausgebrannt" von Andreas Eschbach muss Markus Westermann, der Hauptdarsteller des Romans, am Ende der spannenden Geschichte die Frage eines kleinen Jungen beantworten. Es ist das Jahr 2030, und der Kleine kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es einmal eine Zeit gegeben haben soll, in der das Öl in Strömen geflossen ist. Eine Zeit, als der flüssige Rohstoff so günstig war, dass die Menschen in großen Autos zur Arbeit oder zum Supermarkt fuhren. Eine Zeit, in der das Öl nicht genau so kostbar war wie Gold.

Andreas Eschbach hat nur konsequent weitergedacht, was längst alle wissen, aber niemand so recht wahrhaben will. Das Ende des Erdölzeitalters steht bevor, und dabei ist es eigentlich nur für Zyniker wichtig, ob das schwarze Gold nun in 50 oder in 100 Jahren nicht mehr so kräftig wie heute sprudeln wird. Viel wichtiger ist es, sich rechtzeitig darauf einzustellen, dass ein entscheidendes Schmiermittel zur Fortbewegung des Menschen irgendwann nicht mehr vorhanden sein wird.

Rechtzeitig heißt jetzt.

Es gab mal eine Zeit, als man in Hamburg, um von A nach B zu kommen, in ein Gefährt eingestiegen ist, das mitten auf der Straße auf Schienen gefahren ist. Die Menschen nannten ihr Transportmittel, das mit Strom betrieben wurde, folglich Straßenbahn. Bürgermeister Max Brauer ließ nach dem Zweiten Weltkrieg sämtliche Fenster der Straßenbahnen erneuern. So konnten alle Hamburger jeden Tag sehen, dass es mit ihrer Stadt wieder aufwärts ging. Dann aber - vor 33 Jahren - musste die Straßenbahn den zunehmenden Autos und den komfortableren Bussen auf Hamburgs Straßen weichen. Sie wurde aufs Abstellgleis geschoben. Am 1. Oktober 1978 fuhren zum letzten Mal Wagen der Linie 2 auf der Strecke zwischen Schnelsen und Rathausmarkt. Heute wird in der Stadt um die Wiedereinführung der Stadtbahn heftig gestritten.

Das war damals eine Zeit, als das Auto zum Statussymbol wurde. Die Wagen wurden größer und schneller und komfortabler. Mobilität ohne eigenes Auto war nicht mehr vorstellbar. Wer schnell und bequem an sein Ziel kommen wollte, setzte auf vier Räder. Und wenn der Tank leer war, wurde Benzin nachgefüllt. Kost' ja nix.

Heute hat das Auto als Statussymbol ausgedient. Vor allem bei Jüngeren hat es stark an Bedeutung verloren. Gab es im Jahr 2000 bundesweit 630 000 Neuwagenkäufer zwischen 17 und 34 Jahren, waren es zehn Jahre später nur noch etwa 360 000. Die mobile Gesellschaft ist längst auf neuen Wegen.

Wem gehört die Straße? Es gab mal eine Zeit, als sich diese Frage nicht ernsthaft stellte. Menschen, die sie dennoch gestellt haben, galten als grüne Fortschrittsverweigerer. Sie gründeten irgendwann eine Partei. Und viele ihrer Abgeordneten fuhren, als sie vom Volk ins Parlament gewählt wurden, auf zwei Rädern zu den Sitzungen ins Rathaus. Als die GAL 1993 mit der SPD über eine Regierungsbeteiligung sprach, scheiterten die Verhandlungen an einem großen Verkehrsprojekt. Die GAL lehnte den weiteren Ausbau des Elbtunnels ab. Die SPD beschloss dann mit der STATT-Partei den Bau der vierten Röhre, der 550 Millionen Euro verschlang. Heute wissen wir schon beim täglichen Hören des Verkehrsfunks, dass die skeptische Einschätzung der grün-alternativen Politiker von damals nicht ganz unzutreffend war. "Dann machen wir den Stau halt breiter", kommentierten sie süffisant den Bau der vierten Röhre.

Vor genau einem Jahr sorgte ein Gutachten zum Hamburger Klimaschutz in der Stadt für eine heftige Debatte über mögliche Maßnahmen. Das Senatsziel, bis zum Jahr 2020 die Kohlendioxid-Emissionen in der Europäischen Umwelthauptstadt um 40 Prozent (5,5, Millionen Tonnen CO2) gegenüber dem Wert von 1990 zu verringern, könne nur erreicht werden - so das Fazit der Gutachter -, wenn auch der Pkw- und Lkw-Verkehr erheblich eingeschränkt würde. Die Experten errechneten für diesen Bereich immerhin Einsparpotenziale von 0,7 Millionen Tonnen CO2 im Jahr.

Den Menschen in dieser Stadt dämmert langsam, wie hoch der Preis für ihre Mobilität in Wahrheit ist. Es bedurfte einer Vielzahl an Faktoren, damit die Menschen anfingen, neue Wege zu beschreiten. Der gefährliche Klimawandel und steigende Preise für knapper werdende Rohstoffe, die konsequente Parkraumverdichtung in der City und ständiger Stauärger, die neue Freude an der Bewegung und eine vorsichtige Tendenz zur Entschleunigung. Und so findet gerade eine kleine Revolution auf der Straße statt. Wem sie gehört, darüber darf inzwischen sehr kontrovers diskutiert werden. Denkverbote sind unerwünscht. Mittlerweile ist es politischer Wille, den Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr deutlich zu steigern.

Und wer bisher bezweifelt hat, dass sich das Rad neu erfinden lässt, ist mit Blick auf die Hansestadt, in der die Hälfte der Haushalte auf einen eigenen Pkw verzichtet, in den letzten zwei Jahren eines Besseren belehrt worden. Das Fahrradleihsystem StadtRad meldet immer neue Rekordzahlen. Fast 100 000 Kunden sind bereits registriert, in diesem Jahr wird die magische Zahl von einer Million Fahrten erwartet. Das Hamburger Leihsystem gilt als das erfolgreichste in Deutschland.

Schon gut zwölf Prozent der Hamburger setzen (sich) aufs Rad. Kein Stau, keine Strafzettel, viel frische Luft und zunehmend bessere Radwege sind die Gründe fürs Umsteigen. Trotz steigender Ticketpreise nutzen zudem jedes Jahr mehr Hamburger Busse und Bahnen. Mit 676,3 Millionen Fahrgästen wurde 2010 eine neue Rekordmarke erreicht, in Hamburg werden inzwischen 24 Prozent der Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Zum neuen Mobilitätsmix in der Elbmetropole gehören außerdem Mitfahrbörsen und Automietsysteme wie Car2go mit mehr als 5000 registrierten Kunden. Vielleicht lässt sich die - mobile - Zukunft doch anders gestalten als im Roman. "Ja, es stimmt", muss Markus Westermann dem kleinen Jungen antworten, "wir haben das Öl damals einfach verbrannt."