Für den Arzt Ahmed Abdulgawad war es ein langer Weg von Ägypten zum Glück im Kreis Pinneberg

Uetersen. Ahmed Abdulgawad sitzt mit seiner Frau Lydia und Sohn Pady auf dem Sofa im Wohnzimmer. Die Familie verbringt einen Abend zusammen und blättert in einem Fotoalbum. Der gebürtige Ägypter genießt diesen Moment besonders. Kein Wunder, denn dass die drei heute so unbeschwert beisammen sein können, hat viel Kraft gekostet. Im Gespräch mit dem Abendblatt erzählt Ahmed Abdulgawad, der heute in Uetersen lebt und als Arzt arbeitet, von seinem langen Weg nach Deutschland - eine Geschichte über Liebe, Trennung und eine glückliche Wiedervereinigung.

"In Ägypten habe ich ab dem achten Lebensjahr sehr hart gearbeitet", sagt er. Seinem Vater gehörte eine Töpferei. Die Familie wohnte in Damanhour südlich von Alexandria. Zur Schule gegangen ist er nebenbei. Viel Geld hatten die Abdulgawads nicht. Trotzdem konnte Ahmed mit 18 Jahren ein Studium der Biochemie aufnehmen. Sein Interesse an der Wissenschaft war geweckt. "Als ich meinen Abschluss hatte, rieten mir die Leute, mich im Ausland zu bewerben", erzählt der heute 47-Jährige. Er wollte weiter studieren - in Amerika. In Ägypten wies die US-Botschaft ihn jedoch ab, man hatte Angst, er könne sein Studium nicht finanzieren. Man sagte ihm, dass er bessere Chancen haben könnte, wenn er das Visum von Deutschland aus beantragen würde. Mit dem Flugzeug flog der Ägypter nach Hamburg und bekam ein Touristenvisum. "Drei Monate durfte ich bleiben", erinnert er sich.

Das Geld wurde mit der Zeit immer weniger. Eigentlich hätte es bis zur Weiterreise gereicht. Bei der US-Botschaft war er erfolgreich. Die Amerikaner wollten ihn mit einem gültigen Flugticket einreisen lassen. Dann aber kam der Schock. Im Gespräch mit dem Vater wurde klar, dass es von zu Hause doch kein Geld für das Ticket geben konnte. Die Frist verstrich und die Tür nach Amerika war plötzlich verschlossen.

"Schrecklich", sagt Abdulgawad heute. Er ging an der Alster spazieren, wütend, traurig und fast pleite. Es war ein kalter Tag im Dezember 1989. Dann passierte etwas, an das er sich heute noch gern erinnert. "Da lag ein 20-Mark-Schein, das war für mich ein Zeichen. Vielleicht war ich doch willkommen in Deutschland."

Er blieb, obwohl es schlecht aussah. Mit dem Touristenvisum durfte er weder arbeiten noch studieren. "Die Behörden sagten mir, dass ich nur von Ägypten aus ein Studentenvisum bekommen könne", erinnert er sich.

Trotzdem wollte er es in Deutschland probieren. In Ägypten wäre die finanzielle Lage kaum besser gewesen. Mit wenig Geld blieb ihm nur eine Möglichkeit. "Einmal war ich Betteln, ich hatte Hunger." Bei diesem Satz rollen dem gebürtigen Ägypter Tränen über die Wangen. Schon nach der ersten Mark, die er bekam, wurde ihm klar, dass er das nicht konnte. Außerdem hatte er nicht mehr viel Zeit.

Also beantragte Ahmed Abdulgawad Asyl und zog in ein Bewerberheim. Im Sommer 1990 - mittlerweile hatte er schon ein halbes Jahr in Deutschland verbracht - lernte er seine heutige Ehefrau Lydia kennen. "Es war auf einer Bank am Gänsemarkt", erinnert sie sich. "Er hatte mich auf Englisch angesprochen, wir tranken einen Kaffee." Kurios: Auf dem Gehweg lag wieder ein 20-Mark-Schein. "Wir schlenderten lachend über die Grindelallee. Ich gab ihm meine Telefonnummer."

Jetzt war dem Ägypter klar geworden, dass er auf jeden Fall in Deutschland bleiben wollte. Zwei Monate verbrachten die beiden zusammen, dann aber brach der erste Golfkrieg aus. "Ich bekam damals einen Anruf von meinem Vater", sagt er. "Meine Brüder waren alle aus dem Haus und an der Front." Seine Mutter hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten. Der Vater bat ihn, nach Hause zurückzukehren. "Ich musste zu ihr." Mit der Ausreise verfiel allerdings sein Asylantrag.

"Ahmed hat mir damals gesagt, dass er versuchen wird wiederzukommen", sagt Lydia Abdulgawad. Fast täglich hat das Paar telefoniert. Sechs Monate verbrachte er bei seiner Familie. "Dann kam mein Bruder aus dem Krieg zurück", erinnert er sich. "Er sagte mir, ich solle meinen Weg gehen und zurück zu Lydia." Ein Touristenvisum für Deutschland bekam er aber nicht wieder. "Ich wollte es von Polen aus probieren." Für dieses Ziel gab es ein Visum - und er sah seine Freundin. "Ich hatte nicht besonders viel Geld damals", sagt sie. "Wir hatten zwei Tage und sind natürlich sofort zur deutschen Botschaft gefahren." Dort hatten sie kein Glück. Trotz Heiratsabsicht konnte Ahmed Abdulgawad nicht sofort wieder zurück nach Deutschland - das Paar hätte in Ägypten heiraten müssen. Das kam für die junge Frau nicht in Frage.

Über einen Nachfolgeasylantrag gelang letztendlich doch der Neustart in Deutschland. Das Paar zog in ein WG-Zimmer. 1992 heirateten Lydia und Ahmed. Mit einer Aufenthaltserlaubnis durfte er kellnern. Im Oktober 1992 kam ihr Sohn Pady zur Welt. "Wir waren so glücklich und endlich vereint", sagt Lydia Abdulgawad.

Seinen Traum wollte sich der junge Vater aber noch erfüllen. "Ich wollte weiter studieren. In Rostock bekam ich eine Zulassung für Medizin." Um das Studium zu finanzieren, hat er weiter gekellnert, eine schwere Zeit. "Fünf Tage die Woche war ich in Rostock an der Uni, dann am Wochenende in Hamburg bei der Arbeit." Ehefrau Lydia kümmerte sich um Sohn Pady. Im Jahr 2000 wechselte Abdulgawad nach dem Physikum nach Hamburg und schloss das Studium ab. "Dann haben wir unser Haus in Uetersen gekauft."

Erst arbeitete er als freier Mitarbeiter an der Uniklinik in Eppendorf. "Dort habe ich mich vor allem um ausländische Patienten gekümmert und übersetzt", sagt er. 2007 kam endlich die Einbürgerung. Ein Jahr später wechselte er an die Fachklinik in Aukrug bei Neumünster. In diesem Jahr schloss er seine Promotion mit Fachrichtung Leberchirurgie ab. Die Arbeit macht ihm Spaß und er hat eine besondere Motivation. "Ich betrachte meine Tätigkeit als Dank an Deutschland."

Aus seiner Geschichte hat der 47-Jährige gelernt. "Ich lasse mich nicht unterkriegen. Heute bin ich sehr selbstbewusst." Ahmed Abdulgawad schließt das Fotoalbum und legt es auf den Tisch. Wenn die Abdulgawads abends zusammensitzen ist das immer noch ein besonderes Gefühl. "Ohne die Familie hätte ich es nicht geschafft", sagt er. "Die haben immer an mich geglaubt."

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