Das weltweite Marktvolumen von rund 1500 Milliarden Euro soll sich bis 2020 auf rund 3300 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Auch die Energieriesen engagieren sich, weil alte Geschäftsfelder wegbrechen

Jeder Umbruch kennt Gewinner und Verlierer. Während große Energiekonzerne vor allem mit Entlassungswellen Schlagzeilen machen, sieht sich die Cleantech-Branche durch die Energiewende stark im Aufwind. Ökonomen wittern in den sauberen Umwelttechnologien - nach dem Zeitalter der Informationstechnik - bereits den nächsten Kondratjew-Zyklus, also die bestimmende Wachstumswelle der nächsten Dekaden. Entsprechend üppig fallen die Prognosen aus: Bis 2020 rechnet die Bundesregierung damit, dass sich das weltweite Cleantech-Marktvolumen von heute gut 1500 Milliarden Euro auf 3100 bis 3300 Milliarden Euro mehr als verdoppeln wird. Zum Vergleich: Das European Information Technology Observatory (EITO) beziffert den Weltmarkt für IT-Hardware, Software und Services aktuell auf 1100 Milliarden Euro. In Deutschland könnten so bis 2020 rund 300 000 neue Jobs im Bereich der Umwelttechnologien geschaffen werden, prognostiziert das Umweltministerium. Die Angaben sind selbstverständlich mit Vorsicht zu genießen. Aber: "Die Zahlen zeigen, welches gigantische Wachstum dem Cleantech-Sektor noch ¡bevorsteht. Denn schon heute merken wir eine deutliche Dynamik in den verschiedenen Cleantech-Segmenten", meint Philipp Wolff, Chef des Deutschen Cleantech Instituts.

In den kommenden Jahren werde das Branchenwachstum vor allem von den Kernherausforderungen Klimaschutz und Ressourcenschonung befeuert, meint Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Die erneuerbaren Energien müssen in das bestehende System integriert, Energieeffizienzpotenziale ausgeschöpft werden. Wer entsprechende Technologien oder Geschäftsmodelle zu bieten hat, wird gefragt sein und wachsen, meint der Professor. Cleantech-Firmen im Energiebereich - das waren oft Pioniere mit Weltverbesserer-Ideen, die als Start-ups oder Ausgründungen großer Unternehmen um Geld für ihre Visionen warben.

Aus Garagenfirmen wie Solarworld und Windanlagenhersteller Enercon sind heute Weltmarktführer geworden. Andere, wie der Bocholter Getriebehersteller Flender, sind erfolgreich durch Branchenkrisen gekommen, weil sie sich frühzeitig jungen Technologien wie der Windkraft verschrieben haben.

Längst können auch Industriegiganten wie Bayer nicht mehr anders, als auf diesen Zug aufzuspringen. Deutlich wird die Umbruchstimmung am Cleantech-Cluster Nordrhein-Westfalen. Hier finden sich nicht mehr die jungen Wilden zusammen, die sich auf bestimmte Technologiefelder wie Wind- oder Sonnenenergie konzentrieren. Es sind traditionelle Industriegrößen, die sich unter Federführung des Bayer-Konzerns zusammengeschlossen haben - Namen wie ThyssenKrupp, RWE, Evonik und Henkel. Gemeinsam mit Forschungsinstituten und Mittelständlern, überwiegend aus der Biotechnologie, wollen sie neue Hightech-Produkte rund um Klimaschutz und Ressourcenschonung entwickeln und vermarkten. Ihr Ziel ist es, die "attraktiven Wachstumschancen" des Cleantech-Marktes zu nutzen.

Die Chancen stehen gut: "Viele Umwelttechnologien haben ihren Ursprung in einem Chemieprodukt", erklärt Fischedick. Als Vizechef des Wuppertal Instituts ist er selbst am Cleantech-Cluster NRW beteiligt. Chemie-Innovationen etwa könnten helfen, bessere Dämmstoffe herzustellen und perspektivisch einen neuen CO2-Kreislauf zu etablieren, indem aus dem Treibhausgas neue Produkte hergestellt würden. Und auch wenn die jungen Cleantech-Firmen boomen. "Die alten Industriegrößen werden deshalb nicht vom Markt verdrängt", sagt Fischedick. Auch nicht die Energieriesen. Ihre Marktmacht wird nach der Energiewende zwar kaum noch die gleiche sein. Betätigungsfelder, in denen sie sich unentbehrlich machen können, bleiben aber noch einige. So erfordern Großanlagen für Offshore-Windenergie und Wüstenstrom immense Investitionen, die vor allem die Großen stemmen können. Allerdings, so Fischedick, werden die etablierten Firmen verstärkt in neuen Produktkategorien und Geschäftsmodellen denken müssen.

Noch dazu verleiht der vorgezogene Atomausstieg dem industriellen Umbruch in Deutschland zusätzliches Tempo. Die Integration der Erneuerbaren muss schneller als geplant vonstattengehen. Denn mit der Kernenergie fällt eine CO2-arme Brückentechnologie weg. Länder wie die USA zählen die Atomkraft aus diesem Grund sogar zum Bereich Cleantech hinzu.

Meistert Deutschland die Energiewende, könnte Cleantech "made in Germany" der neue Exportschlager werden. "Für Deutschland ist Cleantech eine Schlüsselbranche", sagt Fischedick. Noch hat die Bundesrepublik hier einen Kompetenzvorsprung. Seit den 70er-Jahren hat sie sich in der Umwelttechnologie international einen Namen gemacht. Doch die Solarindustrie zeigt, wie schnelllebig der Ruhm sein kann: Mit Firmen wie Suntech hat China innerhalb von wenigen Jahren einen neuen Weltmarktführer hervorgebracht. "Wenn Deutschland bestehen will, braucht es einen Innovationsvorsprung und eine Menge gut ausgebildeter Fachkräfte", warnt Fischedick.