Hans-Jochen Vogel stellt eine große Frage
Gesprächsbücher mit Prominenten sind bei den Verlagen heute sehr beliebt: Diese erweiterten Interviews sind relativ schnell auf den Markt zu bringen. Die Leser haben nur dann etwas davon, wenn wirklich kluge Fragen auf wirklich kluge Antworten stoßen. In "Wie wollen wir leben?", dem Gespräch der TV-Journalistin Sandra Maischberger mit dem SPD-Urgestein Hans-Jochen Vogel, gibt es beides. Es geht um "die Grundfrage, was eine Gesellschaft zusammenhält" (Maischberger), und um "die Herausforderungen, mit denen wir es heute zu tun haben" (Vogel).
Ausgangspunkt sind die Verunsicherungen als Folge der Finanzkrise, aber auch die nicht abreißende Debatte um soziale Gerechtigkeit in Deutschland, um Integration, um einen gemeinsamen, alle verbindenden Wertekanon. In den vielen Gesprächsstunden, die Maischberger von Februar bis Juni 2011 mit Vogel verbracht hat, ist ein oft interessanter Brückenschlag zwischen der "Flakhelfer-Generation" und der Internet-Generation gelungen. Ging es nach 1945 allen gleich schlecht? Wird der Staat heute seiner Sozialverantwortung noch ausreichend gerecht? Und was wiegt schwerer, ein mit Rettungsschirmen stabilisierter Euro oder ein geordnetes Erbe für unsere Nachkommen ohne Milliardenschulden?
Jochen Vogel, ehemals Oberbürgermeister von München, Regierender Bürgermeister von Berlin und Bundesminister, urteilt differenziert und mit historischer Kenntnis. Er gehöre "einer Generation an, in der Dinge noch gewusst und nicht im Internet nachgelesen wurden", schreibt Maischberger. Allerdings verlässt Vogel die Denkposition des verantwortungsbewussten Politikers nie. Er hat keine Erklärung dafür, warum Bürger sich ungehört und unverstanden fühlen könnten. Manchmal denkt man beim Lesen: Schade, dass nicht Vogel, 85, mehr Fragen gestellt und Maischberger, 45, mehr Antworten gegeben hat.
Hans-Jochen Vogel/Sandra Maischberger: Wie wollen wir leben? Siedler. 256 S., 19,99 Euro
Lesung Do 22.9., 18 Uhr, Gruner+Jahr, Tickets 12 Euro, Moderation Christoph Bungartz