Die Ausstellung “Stylectical“ würdigt die ästhetischen Errungenschaften des Apple-Designs

"Gutes Design ist so wenig Design wie möglich." Wenn das nur so einfach umzusetzen wäre, wie es klingt. Das letzte der legendären zehn Gebote von Dieter Rams, dem ehemaligen Chefdesigner von Braun, ist auch den Tüftlern und Geheimnisbastlern bei Apple heilig. Steve Jobs, Gesicht und Motor der Firma, schaffte es, diese Anweisung für seine untergebenen Kreativen noch drastischer zu verkürzen, auf ein brutal schlichtes "Lass das weg".

Erfinden und empfinden sind in den wie Fort Knox weggeschlossenen Produktschmieden von Apple zwei Seiten ein und derselben Medaille, und die ist mittlerweile so massiv vergoldet wie bei kaum einem anderen Konzern, frei nach der Devise des IBM-Gründers Thomas J. Watson: "Good design is good business." Dort, beim einstigen Branchenriesen, hat man das zwar realisiert, aber die radikale und vor allem lukrative Umsetzung dieser Erkenntnis der Konkurrenz mit dem Individualisten-Image überlassen. Apple hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr zum Mythos stylisiert und seine Produkte zum Technik gewordenen Herzenswunsch. Oft kopiert, nie erreicht. Aus dem Computerkonzern ist längst ein globaler Lifestyle-Lieferant geworden.

Mit der Ausstellung "Stylectrical - Vom Elektrodesign, das Geschichte schreibt" gibt das Museum für Kunst und Gewerbe einen Überblick über das Werk des aktuellen Designerteams. Auch die Geschichte des fimeninternen Designs der letzten 35 Jahre wird berücksichtigt, darunter sind Sammlerstücke wie der "Twentieth Anniversary"-Jubiläums-Mac zu sehen, der bei seinem Erscheinen so teuer und so begehrt war, dass er sofort zur unbenutzbaren Wertanlage aufstieg, die man gut verpackt und jungfräulich wegschloss wie Spiegelglanz-Münzprägungen. Vor allem ist diese Ausstellung aber ein Kniefall vor der kreativen Leistung eines gebürtigen Londoners, der sich kaum weniger geheimnisvoll gibt als die späte Marlene Dietrich: Jonathan Ive.

Ive soll einen Aston Martin fahren, mit dem für seine bunten Streifen berühmten Modedesigner Paul Smith gut befreundet sein. Zu sehen bekommen ihn seine Bewunderer in aller Welt aber höchstens in Werbe-Videos, in denen er mit fast tränenfeuchtem Pathos im dunklen T-Shirt davon berichtet, wie großartig doch alles geworden sei.

Mehr als 300 Exponate sind in dieser Schau zu sehen, nicht nur von der Firma mit dem angebissenen Erkenntnis-Symbol, sondern auch von Vorbildern und Nacheiferern wie Rams und dem Hamburger Lampendesigner Tobias Grau. Sie alle eint der Eifer, so militant alles Unnötige von einem Produkt zu entfernen, bis Funktion und Gefühl für das Ergebnis auf einem Nenner sind.

Seit 1997 ist der medienscheue Brite Ive der wichtigste Erfolgsgarant für Apple-Boss Steve Jobs. Vor Ive waren Computer zwar funktional, aber mal mehr, mal weniger hässlich. Meistens mehr. Dann brachte er 1998 mit den bunten iMacs Spaß auf die Schreibtische: Rechner und Monitor in einem leicht verdellten Überraschungsei, freundlich und verspielt waren diese Geräte. Ihre Fans tauften sie sofort "Knuddel-Macs". Dem iBook, einem tragbaren Rechner, verpasste Ive als ironische Anspielung auf den Alltagsgebrauch zwei Henkelgriffe, die man davor nur von Plastiktüten kannte. Es waren Kinderzimmer-Rechner für die unerziehbaren Jugendlichen im Kunden, die cool sein wollten und anders.

Vier Jahre später machte Ive radikal Schluss mit niedlich. Die neue Generation der iMacs war erwachsen geworden. Minimalistisch, ein Bildschirm, ein elegant geschwungener statuesker Fuß. Die Recheneinheit war hinter ihrer Präsentationsfläche unsichtbar geworden. Weiß, Schwarz, Silber. Mehr durfte hier nicht sein. Letzter Produkterfolg von Ive ist das MacBook Air. Ein Unterwegsrechner, der so dünn ist, dass einer der ersten Tester sein Gerät angeblich versehentlich mit einem Stapel alter Zeitungen wegwarf. Sollte die Geschichte nicht wahr sein, ist sie toll erfunden.

Ob Rechner für den Hausgebrauch, MP3-Player oder Telefon mit Zusatzfunktionen - all das gab es schon, bevor es das auch von Apple gab, nicht selten auch günstiger. Nur: so noch nicht. Noch nicht so einfach, so schlicht genial. Noch nicht so sexy. Sie haben keine Namen, die nur aus mechanischen Zahlen-Buchstaben-Kombinationen bestehen, sie heißen iPod, iPhone, iPad. "I" stand einmal für das Internet, inzwischen für das hedonistische "i" in "ich". Für die Kultprodukte aus dem Hause Jobs gibt es keine Gebrauchsanweisungen, sie erklären sich von selbst. Lassen sich blind begreifen und verstehen.

Wie Harry Potters Zauberstab verwandeln und bereinigen Apple-Geräte ihre Umgebung von überflüssigem Material: In ihnen verschwinden die Inhalte von Plattenregalen ebenso wie Alltagswerkzeuge, riesige Adresslisten, Computerspiele, Fotoalben oder Kochrezepte. Sie wecken uns, bringen uns ins Bett und überwachen selbst dort noch unsere Schlafrhythmen, wenn wir es ihnen befehlen. Vom Firmengründer Dieter Braun, der mit seinen minimalistischen Alltagshelfern jahrzehntelang Avantgarde war, ist der schöne, wahre Spruch überliefert: "Ein Gerät muss wie ein englischer Butler sein - zu Diensten, wenn man es braucht, und im Hintergrund, wenn es nicht benötigt wird."

Knöpfe waren im Ive-Universum vorgestern. Das iPad, seine Schöpfung, ist Fenster zur Welt. Unser Zeigefinger ist der gottgleiche Universalsschlüssel für das Allwissen. Kein Wunder bei so viel religiöser Aufladung, dass das erste iPhone spöttisch mit dem Spitznamen "Jesus Phone" begrüßt wurde, um unsere mit Mühen beladene Welt hoffentlich ein wenig besser zu machen.

1976, im Gründungsjahr von Apple, startete auch ein anderer amerikanischer Mythos durch: der Spaceshuttle. Dessen Zeit ist vorbei. Die Firma mit dem Apfel zum Anbeißen ist so groß und mächtig wie nie zuvor. Der letzte Jobs-Coup ist kein Gerät für die Hosentasche, sondern ein Gebäude, die neue Firmenzentrale, entworfen von Star-Architekt Sir Norman Foster. Ein riesiger Ring soll bis 2015 entstehen, das vierstöckige Gebäude im kalifornischen Cupertino wird größer sein als das Pentagon in Washington. Symbol für eine Marke, die kaum noch Grenzen hat. Und von oben betrachtet ein Heiligenschein. Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Hubertus-Wald-Stiftung.

Stylectrical. Von Elektrodesign, das Geschichte schreibt 26.8.2011 bis 15.1.2012, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di-So 11.00-18.00, Do 11.00-21.00; www.stylectrical.de