Zeitzeugen-Gespräche in einer Fotoausstellung, einem Bildband und auf einer Website

Wer Hédi Fried begegnet, wird ihr Gesicht, ihren streitbaren wachen Verstand und die Energie, die sie ausstrahlt, nicht vergessen. Trotz der in jungen Jahren erlittenen Verfolgung und Inhaftierung durch die Nationalsozialisten wirkt die nun über 80-jährige Dame im Gespräch über ihr Leben keine Spur verbittert, sondern offen, neugierig und engagiert - so wie Anfang Mai 2010 bei der Tagung "Überlebende und ihre Kinder im Gespräch".

Fried war mit den Enkeln Yael und Samuel aus Stockholm ins Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gekommen. Das Treffen diente nicht allein dem Erfahrungsaustausch von Zeitzeugen aus den verschiedenen Ländern über die jeweilige Erinnerungskultur. Es ging auch um das Nachdenken über Strategien, wie man die Erinnerung an den Holocaust nach dem Ableben der letzten Opfer von Verfolgung und Tortur in den Konzentrationslagern weiter wach erhalten kann.

"Die Erziehung ist die einzige Waffe gegen Rechtsradikalismus, die wir haben", meinte Hédi Fried in der Diskussion. Sie hat mit ihrer jüngeren Schwester Livia Fränkel die Transporte nach Auschwitz, die Zwangsarbeit in den Frauenaußenlagern von Neuengamme und das Kriegsende in Bergen-Belsen überlebt. Im Sommer 1945 waren beide nach Schweden gereist, wo sie sich ein neues Leben und ihre Familien aufbauten. "Mein Weg ist es, meine Geschichte zu erzählen", sagte Fried. Lange war es ihr nicht möglich gewesen, darüber zu sprechen. Sie wollte auch ihre Kinder nicht belasten. Nach dem Erscheinen ihres ersten Buches 1992, "Nachschlag für eine Gestorbene. Ein Leben bis Auschwitz und ein Leben danach", war der Bann gebrochen. "Ich hatte das Gefühl, als ob eine Wand zwischen mir und der Gesellschaft gefallen war." Die studierte Psychologin hatte 1984 das "Café 84" gegründet, um Überlebenden den Kontakt untereinander zu ermöglichen und therapeutische Hilfe anzubieten. Sie besuchte Schulen in Schweden und nahm die seelische und körperliche Belastung vieler Reisen auf sich, um über ihre Erlebnisse zu sprechen. Nicht nur, um von ihren Erfahrungen zu berichten, sondern auch an die zu erinnern, die nicht mehr sprechen können.

Die Begegnung und der Dialog mit einer Zeitzeugin wie Hédi Fried sind für Jugendliche von größter Eindringlichkeit und Wahrhaftigkeit. Sie erfahren aus erster Hand unmittelbar über das für sie Unvorstellbare. Dokumentarfilme oder Geschichtsbücher können das nicht leisten. Diese Beobachtung bestätigt ein regelmäßiger Begleiter und Betreuer der Jugendworkcamps in der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Der Schritt von Zeitzeugen, über ihre schrecklichen Erlebnisse zu sprechen und sie fremden jungen Leuten anzuvertrauen, empfänden diese als etwas Besonderes. Sie seien aufrichtig interessiert und dankbar.

Der Fotograf Mark Mühlhaus und die Historikerin Ulrike Jensen begleiten seit Jahren Gespräche und Treffen der Zeitzeugen. Sie berichten von ähnlichen Erfahrungen und konzipierten ein "Generationen"-Projekt mit Ausstellung, Bildband und Website. "Wir konnten mit Zeitzeugen über die Geschichte der Konzentrationslager sprechen. Das empfinden wir als großes Privileg und auch als eine Verpflichtung, diese Erinnerungen weiterzugeben", sagt Jensen.

Mühlhaus und Jensen wählten 25 für die Begegnung zwischen Alt und Jung charakteristische Fotografien für den Sonderausstellungsraum in den ehemaligen Waltherwerken der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aus. Zur künstlerischen Wanderausstellung "Generationen. KZ-Überlebende und die, die nach ihnen kommen" erscheint ein Fotoband mit Texten und Zeitzeugenzitaten, der von den KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Flossenbürg und Neuengamme herausgegeben wird. Die Internetseite "www.projekt-gene rationen.org" dient der Information über die Ausstellung und als aktive Website, die Anregungen zum selbst organisierten Handeln geben soll. Außerdem werden Jugendworkcamps in Gedenkstätten dokumentiert, Interviews mit Zeitzeugen veröffentlicht und auf Veranstaltungen mit ihnen hingewiesen. Sie soll Lehrern die Möglichkeit zu Information oder Ideen zu künstlerischen Beiträgen liefern. Anschließend geht die Ausstellung nach Bergen-Belsen, Flossenbürg und Ravensbrück.

"Ich erinnere mich an das meiste, aber die Erinnerungen verblassen. Wenn sie in mir verblassen, wie wird es bei denen sein, die es nie erlebt haben? Und spätere Generationen: werden sie verstehen können?", schreibt Hédi Fried in ihrem Buch. Es kann keine klare Antwort auf diese Frage geben, doch immerhin gibt es Versuche, den Erinnerungsdiskurs weiterzuführen, ihn mit heute zur Verfügung stehenden Medien zu dokumentieren und zu erhalten. Denn Frieds Frage ist auch als Mahnung zu verstehen, die leidvollen, doch historisch wie menschlich wertvollen Erinnerungen von Zeitzeugen für die Zukunft zu nutzen und zu bewahren. Sie sind weiter notwendig, um mit der kommenden Generation in einen Dialog über Empathie, Geschichtsbewusstsein und Toleranz zu treten.

Generationen. KZ-Überlebende und die, die nach ihnen kommen Fotoausstellung Mark Mühlhaus/Texte Ulrike Jensen, 1.9. bis 30.10. (Eröffnung: 1.9., 18.30), KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Südflügel der ehemaligen Waltherwerke, Jean-Dolidier-Weg 75, geöffnet: Mo bis Fr 9.30-16.00, Sa, So und feiertags im Sept.: 12.00-19.00, ab Okt. 12.00-17.00, Eintritt frei