Hamburgs Wirtschaft ist hoch erfolgreich - aber kein Vorbild für Nachhaltigkeit

Gern rühmt sich der Hamburger Hafen als ökologisches Vorbild. Denn, nicht wahr, es ist doch effizient, 5000 oder 8000 Stahlboxen an Bord eines einzigen Containerschiffes gut 100 Kilometer ins Inland hineinzufahren und sie dort für den Weitertransport zu einem großen Teil auf die Bahn zu verladen. In der Tat weist Hamburgs Hafen eine Besonderheit auf: Kein anderer europäischer Containerhafen von Weltrang liegt so weit von der See entfernt, so dicht mitten in einem Industriezentrum mit so guten Bahnanbindungen in alle Himmelsrichtungen. Müsste man die Boxen wie in Rotterdam von den Terminals nahe der Nordsee aus zu ihrem Ziel bringen, wäre der Energieaufwand für den Transport deutlich höher. Erst recht dann, wenn Container mit dem Lastwagen bewegt werden.

Das Schiff ist das effizienteste Transportmittel für große Gütermengen. Je größer ein Containerschiff, desto geringer der Energieeinsatz für jede einzelne Box. Doch Vorbild für eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist Hamburg deshalb keineswegs. Das moderne Verständnis von Nachhaltigkeit wurde im 17. und 18. Jahrhundert in der deutschen Forstwirtschaft entwickelt. Vereinfacht fordert dieses Prinzip, nicht mehr zu verbrauchen, als nachwächst, keinen Raubbau an den natürlichen Ressourcen zu betreiben, der am Ende unweigerlich zum Kollaps ganzer Ökosysteme führt. Bodenschätze oder Forstbestände, die durch hohen Verbrauch übernutzt werden, besitzt Hamburg als Stadtstaat im Prinzip nicht. Doch die Hansestadt ist Teil eines hochtourigen, international arbeitsteiligen Wirtschafts- und Produktionssystems. Und das verschlingt heutzutage so viele Bodenschätze, Waldbestände oder atmosphärische Ressourcen wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit - wir wirtschaften derzeit auf Kosten der Enkel- und Urenkelgenerationen.

Hamburg ist eine sehr erfolgreiche Wirtschaftsmetropole und einer der Motoren der deutschen Volkswirtschaft. Kein anderes Bundesland produziert je Einwohner eine höhere Wirtschaftsleistung. Tag und Nacht rauscht, dröhnt und stöhnt, brummt und summt diese gewaltige Maschinerie. Nicht nur Container kommen im Hamburger Hafen an, der auf Rang 15 der weltgrößten Häfen steht. Auch Massengüter, darunter Eisenerz, Kohle, Ölsaaten oder Getreide, werden angelandet. Ein wichtiger Teil davon wird in den regionalen Metallschmelzen, Kraftwerken oder Industriemühlen weiterverarbeitet oder zur Stromproduktion genutzt.

Schwerindustrie und Hochtechnologie, Massenlogistik und Luftfahrtindustrie arbeiten Zaun an Zaun. Neben dem weitverzweigten Überseehafen und dessen Binnenableger in Harburg verfügt die Stadt über zwei Flughäfen (Fuhlsbüttel und Finkenwerder), mehrere Passagier- und Güterbahnhöfe und eine Reihe von Kraftwerken. Dazu darf man das Kohlekraftwerk in Wedel und das abgeschaltete Atomkraftwerk Krümmel zählen, die in Schleswig-Holstein nahe der Stadtgrenze stehen.

Die Infrastruktur und die Wirtschaft in Hamburg sind vieles, aber sicher kein Vorbild für eine energieeffiziente Zukunft. Industrie-, Dienstleistungs- und Handwerksunternehmen laufen auf vollen Touren, viele sind direkt angebunden an eine ungehemmt wachsende Weltwirtschaft. Hamburg ist Europas wichtigste Verbindung nach Asien, vor allem nach China.

Der interkontinentale Transport von Gütern im Container ist je Stück unschlagbar billig und energieeffizient, ermöglicht die weltweite industrielle Arbeitsteilung. Das aber führt dazu, dass riesige und wachsende Mengen von Konsumgütern und industriellen Vorprodukten um den Globus gefahren werden. In der Summe bedeutet dies einen stetig steigenden Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid und an Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid durch den Schiffsverkehr. Trotz eines fast immer wehenden Windes sind die Werte von Schwefeldioxid und Stickoxiden in Hamburg höher als in den meisten deutschen Städten im Binnenland.

Die Luftfahrt wiederum, dieser für Hamburg ebenfalls überragend wichtige Wirtschaftszweig, ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung überhaupt. In den höheren Schichten der Atmosphäre, in denen sich moderne Flugzeuge bewegen, beschädigen deren Abgase unsere lebenswichtige Klimahülle mit besonders lang anhaltender Wirkung.

Wenig vorbildlich ist auch der Straßenverkehr der Stadt. Das Straßennetz ist mit dem ständig wachsenden Güter- und Schwerlastverkehr schon heute deutlich überfordert. Mit der geplanten Fehmarnbelt-Querung und der engeren Anbindung Skandinaviens wird der Verkehr weiter zunehmen. Wichtige Elbquerungen nördlich der Stadt und im südlichen Teil des Hafens lassen seit Jahrzehnten auf sich warten. Der Schwerlastverkehr läuft, wie an der Willy-Brandt-Straße oder der Stresemannstraße, mitten durch das Stadtzentrum.

Der private Energieverbrauch und damit auch der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen hat in Hamburg je Einwohner in den vergangenen Jahren statistisch abgenommen. Ähnliches gilt für den spezifischen Energieverbrauch der Unternehmen je produzierter Einheit an Gütern oder Dienstleistungen. Die Industrie versucht ihren Verbrauch zu senken, weil Energie ein wichtiger Kostenfaktor ist. Im kleineren Maßstab gilt das auch für Privathaushalte, die modernere Geräte mit weniger Energiebedarf kaufen. Dies aber sind allgemeine technologische und gesellschaftliche Entwicklungen und keine avantgardistische Leistung Hamburgs.

Im Vergleich zu vielen anderen Industriestädten auf der Welt, vor allem in Asien, herrschen in Hamburg geradezu paradiesische Verhältnisse. Vieles haben die städtischen Regierungen, die Bürger und die Wirtschaft getan, um die Stadt sauberer und lebenswerter zu gestalten und vor ökologischen Schäden zu bewahren. Badende Menschen in der Elbe, die noch zur Zeit der deutschen Einheit eine Chemie-Kloake war, sind der eindrucksvollste Beleg dafür.

Ein Trendsetter für Nachhaltigkeit aber ist Hamburg nicht, trotz der Ehre, Europas Umwelthauptstadt 2011 zu sein. Wirtschaftswachstum ist seit dem Beginn der Industrialisierung fast untrennbar verbunden mit einem hohen Energie- und Stoffverbrauch. Von dem Ziel oder auch nur dem Plan, diese Logik dauerhaft zu durchbrechen, ist Hamburg wie die industrialisierte Welt insgesamt noch weit entfernt.