Der Zug der Ideen ist auf der Schiene: Die fahrende Ausstellung in sechs Containern zeigt Visionen für die Stadt der Zukunft und sorgt für überraschende Einsichten

Ein großes Weckglas voller Erbsen - wie viele sind es? Ich schätze 10 000, meine Begleitung tippt auf 8000. Schwups, die Zahlen auf dem Touchscreen eingegeben - und wir liegen beide falsch: 8235 Erbsen befinden sich in dem Glas, das im Zug der Ideen zu sehen ist. Der wahre Wert liegt ziemlich in der Mitte - und das ist es auch, was die Idee der "Weisheit der vielen" ausmacht.

"Das Exponat zeigt sehr plakativ, dass das kombinierte Wissen vieler ein wertvolles Gut ist, das gerade auch in Sachen Klima- und Umweltschutz genutzt werden sollte", sagt Friedo Meger, der als Chef der Agentur Kunstraum für Konzeption und Umsetzung des ehrgeizigen Ausstellungsprojekts verantwortlich ist. Ein Jahr lang haben Meger und rund 100 Mitarbeiter für die Umsetzung der rollenden Ausstellung gebraucht, die in sechs ausrangierten Containern aus dem Hamburger Hafen untergebracht ist. Bevor der Zug vom 22. April an durch Europa tourt, kann er bis zum 21. April in Altona besichtigt werden.

"Uns war es wichtig, nicht nur Hamburg zu zeigen, sondern auch, was in anderen Städten zum Thema Klimaschutz getan wird - schließlich ist das ein Thema, das uns alle angeht", sagt Corine Veithen, Projektleiterin bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Zudem ist die Ausstellung damit auch "wiederverwertbar": "Wir haben bereits Anfragen aus anderen Städten, die die Ausstellung nach Ende unseres Projekts zeigen wollen." Bis dahin werden die "Visionen für die Städte der Zukunft", so der offizielle Titel, in 27 europäischen Städten zu erfahren sein.

In 70 Exponaten werden insgesamt 100 Projekte vorgestellt, vorwiegend interaktiv unter dem Einsatz hochmoderner Technik, die die Ausstellung zu einem Erlebnis für alle Sinne macht - und im besten Falle die Besucher anregt, ihr Verhältnis zu Umwelt- und Klimaschutz zu hinterfragen und zu ändern. Denn dies tut not: In Europa leben heute 80 Prozent der Menschen in Städten - und Städte sind maßgeblich für Umweltverschmutzung und Klimawandel verantwortlich.

Die Ausstellung startet mit einem Hamburg-Container: Hier kann mit dem StadtRad eine virtuelle Tour durch die HafenCity unternommen oder auf einer virtuellen Busfahrt die Stadt erkundet werden, in der übrigens Menschen aus über 40 Nationen leben. 32 von ihnen begrüßen den Besucher über ein interaktives Klingelschild. Im nächsten Container betritt man ein großes Netz - thematisch geht es hier zum einen darum, was jeder Einzelne für die Umwelt tun kann, zum anderen aber auch um die Weisheit der vielen - und deren Macht. Projekte wie zum Beispiel das sogenannte Guerilla Gardening, bei dem Stadtbewohner freie Flächen - zunächst illegal - in Gärten verwandelt haben, finden hier ihren Platz. In Marseille beispielsweise ist daraus ein offiziell von der Stadt gefördertes Projekt geworden: Die "Charte des jardins partagés" unterstützt das gemeinschaftliche Gärtnern. Im hinteren Teil des Containers befindet sich ein kleines Kino. Hier startet der eigens für die Ausstellung gedrehte Film "Die nächste Generation", in dem ein Vater mit seiner Tochter per StadtRad verschiedene europäische Metropolen erkundet.

Metropolen, die immer mehr wachsen. Flächennutzung ist dann auch das Thema in Container Nummer drei, in dem man gleich am Eingang per Daumenkino selbst sehen kann, welche Stadt in welchem Zeitraum wie stark gewachsen ist. An zwei gegenüberliegenden Computerscreens kann gespielt werden. Auf dem Touchscreen beantwortet man die Frage, wie man leben möchte - in der Stadt oder im Grünen, und sieht dann sogleich als Ergebnis das Bild der Stadt - und welche Auswirkungen die eigenen Wünsche auf die Nutzung der urbanen Flächen haben.

Aber nicht nur Menschen nutzen den städtischen Lebensraum - auch viele Tiere sind in Städten zu Hause. Stadt und Natur - dass das nicht immer ein schwieriges Verhältnis sein muss, zeigt der grüne Container, der von innen anmutet wie ein kleiner Dschungel. Inklusive Klang: Am Tierstimmenmischpult lassen sich die Stimmen verschiedener in der Stadt lebender Tiere zu einem interessanten Potpourri kombinieren. Nebenbei lernt man, wie auch beim Artenmemory gleich daneben, welche und wie viele Tiere mit uns den Lebensraum teilen. In einem Film touren Vater und Tochter durch Naturschutzgebiete - mit unterschiedlichen Meinungen darüber.

Im nächsten Container geht es um die globale Perspektive. Gleich am Eingang kann man sich an den gedeckten Tisch setzen - und sich anzeigen lassen, wie viel CO2 jeder mit dem, was er täglich verspeist, freisetzt. Also doch lieber im Winter auf die Erdbeeren aus Chile verzichten. Und Energie aus nachhaltigen Quellen nutzen, die am besten auch an den Bedarf angepasst produziert wird.

Wie beim Bahnfahren. Am interaktiven Bildschirm können Besucher beim Steuern einer Lok Energieeffizienz selbst erleben, denn hier wird die Bremsenergie aufgefangen und in Antriebsenergie verwandelt. Genau das macht auch ein Projekt aus Schweden, nur in einem anderen Bereich. In Göteborg nutzt Gobigas Biomasse wie beispielsweise Forstabfälle zur Herstellung von Biogas.

Was alle vorgestellten Projekte eint, wird im sechsten und letzten Container der Ausstellung deutlich: eine Antwort auf den globalen Klimawandel zu finden. Das chinesische Wort für "Krise" setzt sich zusammen aus zwei Schriftzeichen. Das erste steht für "Gefahr", das zweite für "Chance". Beides kann man hier hautnah erleben. Anhand dreier kurzer Dokumentationen, die in 3-D angesehen werden können, werden die Folgen des Klimawandels für drei heute junge Menschen gezeigt - einmal in Norddeutschland, einmal in der Schweiz und einmal im Sahel.

"Im letzten Container sind wir nach der persönlichen Perspektive und der regionalen Ebene bei der globalen Herausforderung an uns alle angelangt", sagt Corine Veithen.

Der Zug der Ideen steht noch bis zum 21. April im Bahnhof Altona auf Gleis 12. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.