Attila Csörgö schafft aus Gesetzen der Physik und Mathematik spielerische Kunst

Am Anfang stand ein eher einfaches Experiment und die Annahme, dass Papierkugeln über einem Luftstrom gleichmäßig schweben müssten. Die Aufgabe, diese Kugeln aus zweidimensionalen Vorlagen zu bauen, stellte dabei das eigentliche Interesse von Attila Csörgö dar. Denn die Kugel ist der geometrische Körper, der sich einer zweidimensionalen Darstellung entzieht. Entsprechend näherten sich die Objekte dem Ideal nur an. Je nach Grundform, ob Spirale oder Sechseck, bewegen sich die Papierbälle über dem Luftstrom unterschiedlich. Sie rotieren, hüpfen oder schweben.

Die Arbeit mit dem Titel "How to construct an orange" aus dem Jahr 1994 ist ein frühes Werk von Attila Csörgö. Wie weit Experimentierlust, Neugier und wissenschaftliches Interesse den Künstler tragen, zeigt nun die erste große Retrospektive des 1965 geborenen Ungarn in der Hamburger Kunsthalle. Die Ausstellung "Der archimedische Punkt" vereint im ersten Stock der Galerie der Gegenwart rund 50 Werke aus den Jahren von 1994 bis heute. Alle Arbeiten, meist raumgreifende Installationen, befassen sich mit physikalischen Phänomenen oder mathematischen Fragestellungen, die Csörgö allerdings in ebenso überraschende wie humorvolle Kunstwerke überführt.

Das Zentrum der Schau, die gemeinsam vom Ludwig Mùzeum Budapest, dem Mudam Luxembourg und der Hamburger Kunsthalle erarbeitet wurde, bilden Csörgös Versuchsanordnungen, die um Fragestellungen zu Raum, Zeit und Bewegung kreisen. Als Material dienen ihm einfache Dinge wie Ventilatoren, Spiegel, rotierende Scheiben.

Aber diese Maschinen bringen geradezu Zauberwerk hervor. "Man fühlt sich wie ein Kind in der Wunderkammer", sagt die Leiterin der Galerie der Gegenwart, Sabrina van der Ley. "Das Werk von Attila Csörgö übt doppelte Faszination aus, sowohl auf der ästhetischen wie der wissenschaftlichen Ebene. Da gibt es etwa die virtuellen Körper. Sphären aus Licht, geformt aus einzelnen hin und her flitzenden Lichtpunkten. Das "Fotolabyrinth" wiederum erfasst in einer aufwendigen Konstruktion aus Spiegeln und Kameras die Flugbahn eines Würfels, und zwar gleichzeitig von allen sechs Seiten.

Csörgö baut seine Kameras selbstverständlich selbst. Eine, die sich sowohl um die vertikale wie die horizontale Achse dreht, hält einen Raum in allen Richtungen fest. Das Bild, belichtet auf eine Halbkugel, erlaubt es dem Besucher, den Raum, in dem er sich befindet, von außen zu betrachten. Csörgö erschüttert existenzielle Gewissheiten, spielt mit den Dimensionen und begibt sich auf die Spur einer vierten Dimension, in der Raum und Zeit verschmelzen.

"Das Wichtige ist, einen neuen Punkt zu suchen, einen Blickpunkt oder Anhaltspunkt, von dem aus Dinge sich in einer anderen Anordnung zeigen. Es ist allerdings kein fester Punkt. Er ist selbst in Bewegung", sagt Attila Csörgö. Eine Arbeit, die seine Auffassung von der Flüchtigkeit der Dingwelt zeigt und das Publikum der Biennale von Venedig 1999 in Erstaunen versetzte, heißt "Platonic Love". Ein einfaches Gestell, das an Fäden eine aus losen Holzstäben zusammengesetzte vielflächige geometrische Figur hält. Es ist die Erste aus einer Serie von fünf Skulpturen, die sich - über einen Motor in Bewegung versetzt - in bis zu fünf platonische Körper verwandeln: Tetraeder, Hexaeder, Oktaeder, Ikosaeder und Dodekaeder. Geometrie erweist sich als Zwischenzustand fließender Formierungsprozesse.

Bewusst verwendet Csörgö einfache Materialien und nachvollziehbare Technik. "Ich war immer der Meinung, dass Hightech eine Barriere zwischen dem Publikum und dem Kunstwerk errichtet. Die Unmittelbarkeit geht verloren", sagt der Künstler. "Gerade in einem Hochtechnologiezeitalter, das uns mit virtuellen Bildern und Animationen überflutet, kann die Präsenz von realer, fassbarer Bewegung einen magischen Effekt haben." Dahinter verbirgt sich freilich eine besessene Tüftelei und oft monatelange Beschäftigung mit physikalischen und mathematischen Problemen. Die spielerische Leichtigkeit grenzt fast an ein Wunder. Ermöglicht wird die Ausstellung durch die Malschule in der Kunsthalle e. V.

Attila Csörgö: Der archimedische Punkt 27.2. bis 15.5., Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00