Zwei Ausstellungen thematisieren Ernst Barlachs Kunst und Dichtung in Lübeck

Im Jahr 1929 schuf Ernst Barlach die ersten Entwürfe für einen Skulpturen-Zyklus, der für die Nischen der Westfassade der Lübecker Katharinenkirche gedacht war. Museumsdirektor Georg Heise hatte diesen "Lübecker Barlach-Plan" entwickelt, ein großartiges Skulpturenprojekt, das 16 überlebensgroße zeitgenössische Figuren in die mittelalterliche Fassadenarchitektur einbinden sollte. Heise hoffte, dass der Zyklus, der den Titel "Die Gemeinschaft der Heiligen" tragen sollte, "die Kräfte des alternden Meisters anzuspannen vermöchte zur Krönung seines Lebenswerkes".

Doch das Projekt stand am Anfang unter keinem guten Stern, nicht nur, weil Barlach selbst nicht recht davon überzeugt zu sein schien, sondern auch, weil sich die Zeiten schon sehr bald änderten: Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde Barlach zum verfemten Künstler und Heise verlor seinen Posten als Museumsdirektor. Mit "Der Bettler", "Der Sänger" und "Frau im Wind" hatte Barlach jedoch schon drei der 16 geplanten Klinkerstatuen fertiggestellt, die nun auf einmal aufs Äußerste gefährdet waren.

Nur weil Heise sie noch rechtzeitig versteckte, konnten sie über das "Tausendjährige Reich" hinweg gerettet werden. Nach Kriegsende vollendete Gerhard Marcks den Zyklus.

Die dramatische Entstehungsgeschichte des Lübecker Frieses wird in der Ausstellung "... das Kunstwerk dieser Erde", die das Museum Behnhaus Drägerhaus gegenwärtig zeigt, ausführlich dokumentiert und nachgezeichnet, wobei die "Frau im Wind" die inhaltliche Verknüpfung zum eigentlichen Thema bildet, das Barlachs Frauengestalten gewidmet ist. Mit Zeichnungen, Druckgrafiken und Skulpturen zeigt die Ausstellung, wie sich Barlachs Frauenbild gewandelt hat.

Die frühen Werke sind noch von klassizistischen, naturalistischen und symbolistischen sowie vom Jugendstil-Einflüssen geprägt. Schon während seiner Ausbildung an der Allgemeinen Gewerbeschule in Hamburg hatte sich Barlach zum Beispiel beim Aktstudium intensiv mit dem weiblichen Körper beschäftigt und Bildwerke mit durchaus erotischer Ausstrahlung geschaffen. Ein Beispiel für diese sinnlichen, körperbetonten Darstellungen ist das 1902 entstandene Grabmal der Hamburger Familie Moeller-Jarke, das eine naturalistische, leicht verhüllte stehende Frauengestalt zeigt.

Die Russlandreise im Jahr 1906 führt dann zu einer Zäsur. Von nun an wird die Formensprache reduziert, die weiblichen Körper werden durch eine nivellierende Kleidung verhüllt, wirken blockartig und monumental. Einerseits bewegten ihn die grenzenlose Armut und Schicksalsergebenheit der Bäuerinnen, Bettlerinnen und Marktfrauen, die ihm in der scheinbar hoffnungslosen Situation nach der niedergeschlagenen Revolution von 1905 begegnen.

Andererseits regen ihn die archaischen Steinfiguren aus der Zeit der Skythen an, die er in der Steppe des Donezbeckens sieht und die ihn zu einer beinahe sinnbildhaften Reduzierung der Körperform führen. Nicht das Individuelle, sondern das Allgemeingültige bestimmen das, was Barlach einen "vereinfachten Menschentyp" nennt.

Von 1912 an setzt Ernst Barlach sich intensiv mit den aktuellen Kunstströmungen des Expressionismus, Kubismus, Fauvismus und Futurismus auseinander, stellt einerseits das "Mitleiden" in den Vordergrund, andererseits aber den Mythos und die Möglichkeit, vom "Diesseits-Ekel" zur "Jenseits-Seligkeit" zu gelangen. Um die Auseinandersetzung mit dem Mythos geht es auch in einer zweiten Ausstellung, in der das Günter-Grass-Haus Ernst Barlach als Literaten vorstellt. "Es ist uns bewusst, dass gerade Barlachs Dichtung nicht so leicht zugänglich ist, andererseits ist der Zusammenhang von Wort und Bild bei diesem Künstler besonders eng, was sich gerade bei seinem Leitthema Mythos zeigt", meint Jörg-Philipp Thomsa, Leiter des Günter-Grass-Hauses.

Er steht vor der schwierigen Frage: Wie stellt man Literatur aus? Das Günter-Grass-Haus, das sich schon von Anfang an mit dem Phänomen von Doppelbegabungen auseinandersetzt, hat dafür eine Form gefunden, in der zum Ausdruck kommt, wie eng Literatur und bildende Kunst aufeinander bezogen sein können: In der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Ernst-Barlach-Stiftung Güstrow konzipiert wurde, sind neben Zeichnungen und Plastiken vor allem Bücher und Handschriften zu sehen, darunter eine Vorstufe zu dem Drama "Der blaue Boll", die lange Zeit als verschollen galt.

Ergänzt wird die Ausstellung durch ein Veranstaltungsprogramm mit Führungen, Vorträgen und Lesungen. So erläutert etwa Helga Thieme von der Ernst-Barlach-Stiftung Güstrow am 31. März um 18 Uhr in einem Vortrag das Drama "Der blaue Boll" und am 19. April um 19 Uhr referiert Andrea Fromm im Behnhaus über Barlach und die Frauen.

Barlachs Frauenbilder"... das Kunstwerk dieser Erde" bis 29.05., Behnhaus Drägerhaus, Königstraße 9-11, Öffnungszeiten: bis 31.3. Di-So 11.00-17.00, ab 1.4. Di-So 10.00-17.00

Mythos und Zukunftstraum. Texte und Bilder von Ernst Barlach bis 29.5., Günter-Grass-Haus, Forum für Literatur und bildende Kunst, Glockengießerstraße 21, Öffnungszeiten: bis 31.3. Di-So 11.00-17.00, ab 1.4. Mo-So 10.00-17.00