Eine Ausstellung beleuchtet die Verbindung des Künstlers “Jimmy Ernst“ mit der Druckerei J. J. Augustin

Der chinesische Satzzirkel sieht mit seiner offenen eckigen Schrankform in der Fotografie von Candida Höfer selbst wie ein Kunstwerk aus. Mit 12 000 Schriftzeichen enthält er mehr Zeichen als für jede andere Fremdsprache. Man vermutet sie nicht ausgerechnet in einer Druckerei im schleswig-holsteinischen Glückstadt. Hier residiert in einer 1632 gegründeten Druckerei seit 1725 ein Familienunternehmen: J. J. Augustin, das erst im 20. Jahrhundert zu einer weltbekannten Fremdsprachensetzerei aufstieg.

In fünfter Generation begann hier Heinrich Wilhelm Augustin 1904/05 den Satz um Fremdsprachen zu erweitern. Der Name Augustin ist schicksalhaft verknüpft mit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten und dem Leben eines Mitarbeiters: Jimmy Ernst, Sohn des Surrealisten Max Ernst und der Kunsthistorikerin und Journalistin Louise Straus, einer Jüdin.

Einblicke in sein Leben und in das eindrucksvolle Gewerbe der Handsetzerei, die uns heute wie eine antike Kunstform anmutet, gibt mit Fotos, Büchern und einem original chinesischen Zirkel die Ausstellung "Zwiebelfische. Jimmy Ernst und der chinesische Zirkel" bis zum 6. März im Museum der Arbeit. Täglich um 13 Uhr ist der mit zwei norddeutschen Filmpreisen bedachte Dokumentarfilm "Jimmy Ernst, Glückstadt - New York" von Christian Bau und Artur Dieckhoff zu sehen.

Jimmy Ernst wurde am 24. Juni 1920 in Köln geboren. Die Ehe seiner Eltern hielt nur wenige Jahre. Max Ernst zog nach Frankreich, Jimmys Mutter floh vor den Nazis später nach Paris und vermittelte ihrem Sohn 1935 eine Setzerlehre in der Druckerei J. J. Augustin. Augustins Sohn, Johannes Jakob Augustin, beschützte ihn vor den Anfeindungen der Glückstädter.

Über die Glückstädter Druckpressen liefen, Widerspruch der Geschichte, die Drucksachen der Deutschen Marine, genauso wie die Schriften amerikanischer Anthropologen gegen die Rassenideologie der Nazis. "Jimmy Ernst liebte das körperlich fordernde Handwerk, das ihn häufig nötigte, neun Stunden lang vor den Setzkästen zu stehen und Bleilettern zu Texten zusammenzufügen", erläutert Kurator Dr. Jürgen Bönig. Sicher legte er da auch manchen "Zwiebelfisch", also eine Letter aus der falschen Schrift in einem Kasten, ab. Ernst entwickelte ein ausgeprägtes Interesse für Lettern und Typen. Vor allem für den chinesischen Satzzirkel, den es nur bei Augustin in Glückstadt gab. Als 1926 die chinesische Studentenvereinigung eine Jubiläumsschrift setzen lassen wollte, hatte die Anordnung in Schubladen nicht ausgereicht. Heinrich Wilhelm Augustin entschied, die auf 12 000 verschiedene Zeichen vermehrten Lettern rings um den Setzer kreisförmig anzuordnen.

Die Setzer in Glückstadt konnten nicht wie in China nach dem Laut das Zeichen an einem sehr langen Setzkasten finden, sondern nur durch Vergleich des geschriebenen Zeichens mit den Lettern. Das galt für einen Teil der fast 100 Sprachen, mit arabischen, japanischen, äthiopischen Schriftzeichen, für Hieroglyphen, Keilschrift oder Runen - die über 130 Setzer und Drucker orientierten sich an Form und Struktur der Zeichen. Wegen seiner Homosexualität angefeindet, floh Hans Jakob Augustin in die USA und gründete dort ein Tochterunternehmen, J.J. Augustin Publishers. Fortan schirmte Heinrich Wilhelm Augustin Jimmy gegen die örtlichen Nazigrößen ab, doch der Druck wuchs. 1938 emigrierte Jimmy Ernst in die USA, wo er in der New Yorker Kunstszene eine Heimat fand.

Wie eine aus einer anderen Schrift verirrte Letter, ein Zwiebelfisch, fand er spät seinen Bestimmungsort. Er heiratete und bekam zwei Kinder. 1984 starb er in New York. Seine Mutter wurde mit dem vorletzten Transport aus Frankreich nach Auschwitz deportiert und ermordet. Heute sind die Räume ein ehrwürdiger, aber geisterhafter Ort. "Zwiebelfische" erzählt eine Geschichte eines unwiederbringlichen Verlustes, der in der Erinnerung unsterblich bleibt.

Zwiebelfische. Jimmy Ernst und der chinesische Zirkel bis 6.3., Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, Mo 13.00-21.00, Di-Sa 10.00-17.00, So 10.00-18.00, Filmvorführung täglich 13.00