Abitur und Duale Berufsausbildung sind gleichwertig, sagen Experten. Und auch ein Studium kann auf mehreren Wegen erreicht werden

Seine Noten waren mäßig, Ehrgeiz und Motivation ließen zu wünschen übrig - keine Chance auf einen höheren Abschluss, sagte sein Klassenlehrer. Ulrich landete im Blaumann in einer VW-Werkstatt. Dort fiel er zum ersten Mal positiv auf. Der Berufsschullehrer riet dem 16-Jährigen, die Mittlere Reife nachzumachen. Und plötzlich platzte bei Ulrich der Knoten. Das Lernen machte ihm Spaß. Es folgten Ingenieurschule und Studium an der Technischen Universität Berlin. Mit 28 Jahren dann der Berufseinstieg bei der Hochbahn AG. Heute ist der Diplom-Ingenieur Ulrich Sieg immer noch im Unternehmen: als Technischer Vorstand und stellvertretender Vorsitzender.

Die praktische Ausbildung zum Kfz-Mechaniker, sagt der Hochbahn-Vorstand rückblickend, habe seiner Karriere gut getan. "Die Ausbildung ist die Basis, da erfährt man, wie die Menschen arbeiten und miteinander umgehen." Dazu komme Motivation, "Tüchtigkeit" und auch ein Quäntchen Glück. Neben dem Fachwissen seien soziale Kompetenz und Empathie sehr wichtig: "Fast überall ist Teamarbeit angesagt." Ein Team von Auszubildenden, Fach- und Leitungskräften, von Ingenieuren und Handwerkern, betont Ulrich Sieg: "Die Hochbahn benötigt neben Abiturienten genauso Hauptschüler und Realschüler - sofern sie sich für Betriebsabläufe und Technik interessieren."

Vom Hauptschüler zum Vorstand - das ist eher die Ausnahme. Vom schulmüden Jugendlichen zum ausgezeichneten Lehrling - das ist gar nicht so selten. Die Handelskammer kennt viele solcher Beispiele. "In der Praxis erfahren die Jugendlichen Lob und Anerkennung. Das beflügelt", sagt Fin Mohaupt, Leiter der Ausbildungsberatung. Das weiß auch die Handwerkskammer: "Es gibt einfach unterschiedliche Lerntypen", sagt Jörg Ungerer, Leiter Bildungspolitik. Für manche Jugendliche sei der achtjährige Bildungsweg am Gymnasium eine Mühle, angetrieben vom falschen Ehrgeiz der Eltern: "Wir müssen den Eltern deutlich machen, dass auch die anderen Bildungsabschlüsse ihren Wert haben."

Fakt ist, das Abitur liegt hoch im Kurs: Schon jeder zweite Schulabgänger hat es. Die Hamburger Quote sei im Bundesvergleich Spitze und nur noch um einige Prozentpunkte ausbaubar, schätzt Rainer Schulz, Geschäftsführer des Hamburger Instituts für berufliche Bildung (HIBB) - zum Beispiel durch Auszubildende, die parallel zu ihrer Lehre die Fachhochschulreife erwerben. Das dafür nötige Zusatzangebot an Unterrichtsstunden stellen etwa die Unternehmen Airbus und Lufthansa Technik ihren zukünftigen Fluggerätmechanikern ab August zur Verfügung. "Das ist ein Angebot für Realschüler mit Potenzial", sagt Schulz.

Für den Bildungsexperten ist es an der Zeit, das Schubladendenken aufzugeben: "Eine duale Berufsausbildung ist gleichwertig mit dem Abitur." Das sei eine ganz einfache Rechnung. Bis zum Abitur benötigt ein Schüler zehn plus zwei oder drei Lernjahre. Für einen dualen Lehrberuf neun oder zehn Jahre Schulbildung plus in der Regel drei Jahre Berufsausbildung mit drei Unterrichtstagen pro Woche - also genauso lange. Und: "Die Schüler werden wie am Gymnasium auch in Englisch, Deutsch und Mathe unterrichtet."

Schließlich gilt nicht nur für die technischen Berufe: Die Anforderungen steigen, ungelernte Tätigkeiten nehmen ab, Köpfchen statt Muskelkraft ist gefragt. "Ein Bäcker muss kein Abiturient sein", sagt Ungerer. "Aber wer in seinem Betrieb ein Filialsystem aufbauen will, benötigt betriebswirtschaftliche Kompetenzen." Dass die Filialisierung den Bedarf an Führungskräften erhöht, gilt auch für andere Gewerke wie Friseure und Gebäudereiniger. Dennoch will die Handwerkskammer außer Abiturienten deutlich mehr Hauptschüler gewinnen. Ungerer: "Wir sprechen beide Seiten an, weil wir unterschiedliche Positionen zu besetzen haben."

Dabei gilt: Jede duale Ausbildung ist ein Karriereschritt. Der Hauptschüler bekommt darüber automatisch den Realschulabschluss. "Das weiß nur kaum jemand", bedauert Ungerer. Wer zudem in der Ausbildung Talent, Selbstbewusstsein und Spaß am Lernen beweise, werde weiter gefördert. Wer aber am anderen Ende der Skala keinen Ausbildungsplatz finde, weil ihm die nötige Reife fehlt, solle nicht länger im "Schonraum Schule aufbewahrt werden. Die Jugendlichen sollen in Praktika betriebliche Erfahrungen sammeln bevor sie 20 sind", sagt Ungerer.

Diese Neuausrichtung der beruflichen Bildung lobt auch die Handelskammer: "Eine Berufsvorbereitung, in die man jederzeit ein- und aussteigen kann, ist bahnbrechend", sagt Fin Mohaupt. Auch wenn sich die Handelskammer verstärkt um Abiturienten bemüht - die bessere Berufsvorbereitung und die stärkere Bindung an den Betrieb beweisen vor allem Hauptschüler. Also kein Grund für Abiturienten, anzunehmen, sie seien, die besseren Azubis. Mohaupt: "Das Abitur ermöglicht alles, aber es garantiert erst mal nichts."