Es geht in den sieben Wochen vor Ostern nicht um Diät. Sondern darum, sich auf das Elementare zu konzentrieren

Seit einigen Jahren entdecken viele, auch kirchenferne Zeitgenossen das Fasten wieder für sich. Sie nutzen die Passionszeit, um das Verzichten neu zu lernen und zu üben. "Wer fastet, der hat die Chance, sich selbst zu überraschen: Fällt es mir leicht, sieben Wochen auf Schokolade zu verzichten? Ist mein Leben anders, wenn ich keinen Rotwein trinke? Wer fastet, der schafft sich selbst neue Freiräume." - so verheißt es die Ankündigung "7 Wochen anders leben" des Vereins Andere Zeiten.

Die Idee dabei ist einfach. Der Mensch ist an sich ein träges Wesen: gute Vorsätze, Neujahrsabsichten und Sportstudio-Beitritte häufen sich zu Jahresbeginn, verflüchtigen sich jedoch im Laufe des Jahres. "Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur so selten dazu" - dieser Satz, dem Schriftsteller Ödon von Hórvath zugeschrieben, fasst fromme Absicht und natürliche Willensschwäche lebensklug zusammen. Sekt ist zu belebend und Schokolade zu tröstlich, um ganz darauf zu verzichten. Doch wenn ich mir sieben Wochen lang beweise, dass ich ohne kann, dann hebt es meine Tugendbilanz in den grünen Bereich, zumindest für diese Wochen.

In der Alten Kirche war die Fastenzeit eine deutlich strengere Angelegenheit. Buße, In-sich-Gehen, harter Verzicht, darum ging es. Auf Alkohol, Fleisch, Süßes, aber auch Sexualität, Tanz, Vergnügungen aller Art zu verzichten war kirchliches Gebot. Manche trieben es weit, bis hin zu einer spirituellen Selbstabtötung. Dabei steckt auch in dem altkirchlichen Fasten ein guter Sinn. Nur wer verzichtet, kann sich auf das Wesentliche konzentrieren und sich für die Erlösung bereit machen. Deshalb waren die 40 Tage Fastenzeit eine wichtige Vorbereitungszeit für diejenigen, die getauft werden wollten. Das geschah in der Antike nämlich nur in der Osternacht. Es galt, dem alten Menschen abzuschwören - ja, ihn in sich abzutöten, um reif und rein zu sein für das Leben als Christ.

Darum geht es denen, die es heute mit dem Fasten versuchen, in dieser Konsequenz sicherlich nicht. Wie aber könnte ein zeitgemäßes Fasten aussehen? "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." Dem US-Theologen Reinold Niebuhr wird dieses Gebet zugeschrieben, datiert in die 30er- oder 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Friedfertig kommt es daher, fast lauwarm: ein bisschen von allem, und schon ist sie da, die passende Mixtur für ein glückliches Leben. Dabei steckt durchaus Brisanz in diesem Gebet. So leicht findet man nicht zur Gelassenheit. Man muss lassen, verzichten, vor allem aber unterscheiden können. Darum müsste es beim modernen Fasten gehen: Unterscheiden lernen. Wichtiges und Unwichtiges auseinanderhalten, Gutes wählen und Nutzloses wegtun. Sich endlich wieder konzentrieren. Und die Dinge, für die man sich entschieden hat, mit Hingabe tun. Also, an einem Tag mit Freude E-Mails schreiben, am nächsten Tag lange telefonieren, dann spazieren gehen. Einfach eine Sache und dann die nächste tun. Fasten als Unterscheiden und Sich-Konzentrieren.

In der Fastenzeit kann man erfahren, dass das wirklich geht, dass eine Veränderung unserer Lebensgewohnheiten möglich ist. Aber bitte nicht nur als Verzicht und Askese. Auch nicht, um abzunehmen. Fastenzeiten sind keine Diätrezepte. Wer Pfunde loswerden will, der braucht mehr Bewegung und weniger Nahrungszufuhr - aber das hat mit den sieben Wochen vor Ostern kaum etwas zu tun. Näher an der Wahrheit des Fastens sind Verse des Hamburger Schriftstellers Matthias Politycki. Obwohl er so gar kein kirchenfrommer Erbauungsschreiber ist, klingen diese Verse aus einem neueren Gedicht von ihm doch wie ein Gebet zur Fastenzeit: "Nicht mehr gierig sein, nichts mehr erhoffen, befürchten, nur noch am Schnittpunkt von Vergangenheit und Zukunft drauflossitzen und selbstverständlich werden, freundlich, aber kein Tölpel, friedlich, aber nicht harmlos, gelassen, aber nicht gelangweilt."