Der NDR Chor singt Rachmaninows Vesper “Das große Abend- und Morgenlob“

Sergej Rachmaninow ist uns vor allem als Schöpfer hoch virtuoser Klavierzauberstücke mit und ohne Orchester in Erinnerung. Das dritte Konzert gilt als einer der schwersten Brocken des pianistischen Repertoires. Doch sein vielleicht persönlichstes Werk spricht eine ganz andere Sprache: Das "Große Abend- und Morgenlob", eine Gottesdienstmusik für den Vorabend besonderer Sonn- und Feiertage, ist für Chor a cappella geschrieben - und wirkt vielleicht gerade deshalb so intensiv und packend, weil der Komponist sich hier auf das Wesentliche beschränken musste: Durch die Reduktion auf den Chorgesang bleibt kaum Spielraum für Showeffekte. Mit dieser emotionalen Verdichtung hat der selbstkritische Rachmaninow sogar den inneren Kritiker überzeugt: Er bezeichnete die fünfte Nummer der Vigil, "Herr, nun lässest du", als sein Lieblingsstück, und wollte es auf der eigenen Beerdigung gesungen wissen.

Welcher Anlass ihn dazu bewogen hat, ein groß dimensioniertes geistliches Werk von einer Stunde Spieldauer zu schreiben, ist nicht ganz klar - zumal Rachmaninow kein ausgesprochen religiöser Mensch gewesen ist. Jedenfalls brachte er das Stück Anfang 1915 in nur zwei Wochen zu Papier und schuf damit eine Art Resümee und Höhepunkt von rund tausend Jahren russischer Kirchenmusik: In den 15 Stücken greift er teilweise auf orthodoxe Melodien zurück und verschmilzt die traditionellen Elemente mit seiner eigenen Klangsprache zu einem Meisterwerk von religiöser Inbrunst, großer Ausdruckskraft und Vielfalt. Dabei reicht das Spektrum von typisch russischen Akkordpassagen über altertümliche Unisoni bis hin zu klangmalerischen Momenten. Besonders eindrucksvoll ist etwa die Glockenimitation in der Nummer sieben.

Obwohl Rachmaninow den orthodoxen Ritus in seinem Werk sehr ernst nahm, haben die Kirchenoberen das Stück in den Konzertsaal verwiesen, da sie nur die alten Weisen als gottesdienstwürdig anerkennen. Und das sollte nicht die einzige Verbannung bleiben: Nach der Oktoberrevolution waren geistliche Werke aus ideologischen Gründen generell verboten. Doch vielleicht bescherte genau diese doppelte Ächtung der Vigil ihre Sonderstellung: Für viele Exilrussen im Ausland wurde das Werk zu einem musikalischen Sinnbild ihrer Identität.

Als der Komponist sein Stück einem Freund am Klavier vorspielte und eine Passage bis zum Kontra-B hinabführte, fragte der: "Wo um alles in der Welt kriegen wir solche Bässe her? Die sind seltener als Spargel zu Weihnachten!". Aber er kannte ja die Männerstimmen des NDR Chores nicht, der Rachmaninows Opus Magnum unter Leitung von Stefan Parkman aufführt. Der Schauspieler Ulrich Noethen liest dazwischen Texte von Tolstoi.

Vesper 27.2., 18 Uhr St. Jacobi. Am 28.1. 2011 um 20 Uhr ist der NDR Chor in der Reihe "Podium der Jungen" im Rolf-Liebermann-Studio zu erleben. Karten unter T. 0180/178 79 80