Christoph Eschenbach dirigiert Mahlers Vierte und die Uraufführung von Peter Ruzickas “Einschreibung“

Eigentlich wollte Mahler das, was heute seine Vierte ist, als "symphonische Humoreske" in sechs Sätzen komponieren - aufsteigend vom Irdischen zum Himmlischen. Er sagt über die drei ersten Sätze: "Es ist die Heiterkeit einer höheren, uns fremden Welt darin, die für uns etwas Schauerlich-Grauenvolles hat." Eine höchst verdächtige Idylle.

Komponiert hat Mahler das Werk 1899/1900, die Uraufführung leitete er 1901 in München. Seine ältesten Wurzeln aber hat das Werk im Jahr 1892, als eine Schwester Mahler die Gedichtsammlung "Des Knaben Wunderhorn" schenkte. Der 4. Satz der Vierten, der einen der Texte vertont, wurde denn auch schon 1893 uraufgeführt, in Hamburg, wo Mahler damals Erster Kapellmeister war.

"Die Vierte", schreibt Jens Malte Fischer in seiner großartigen Mahler-Biografie, "träumt sich in eine Kindheit zurück, der man nachtrauern muss, der aber auch nicht mehr zu trauen ist." Mahlers Musik wird im Lauf dieser Symphonie zunehmend komplexer, er spielt mit den Formen der vergangenen Jahrhunderte auf der Suche nach dem Neuen, dem Unerhörten.

Der 1. Satz beginnt mit Schellen, die Mahler eindeutig erklärt: "Der erste fängt doch gleich charakteristisch genug mit der Schellenkappe an" - der Schellenkappe des Narren. Es folgt ein Scherzo, das ein Totentanz ist, aufgelockert durch zwei Ländler. Der Tod tritt mit der Fidel auf, und die lässt Mahler, damit sie möglichst schreiend und roh klingt, einen Ton nach oben stimmen. Vom 3. Satz - ruhevoll, poco adagio - sagt Mahler, es sei das Stück Musik, das sagt, es sei alles nicht böse gemeint.

Im 4. Satz kommt die Sopranstimme dazu. Das bringt ein Wiedersehen mit der jungen Sopranistin Christiane Karg, die aus ihrer Zeit im Hamburger Internationalen Opernstudio noch in bester Erinnerung ist. Sie gehört heute zum Ensemble der Frankfurter Oper und singt in Berlin, Wien, Salzburg und Amerika.

Ihr Text ist im Original so betitelt: "Der Himmel hängt voll Geigen." Oberflächlich betrachtet ist es Rundgang in Rondoform durch die Freuden des Himmels, gesehen mit den naiven Augen eines Kindes. Dort allerdings geschehen seltsame Dinge. Denn neben den himmlischen Freuden gibt es ein verstörendes Morden und Abschlachten; jede neue Strophe wird von einem wilden Gelächter eingeleitet. Hier taucht auch die Schellenkappe des Narren vom Anfang wieder auf - niemandem ist zu trauen, nicht einmal Einwohnern der himmlischen Gefilde. Mahlers 4. Symphonie ist, resümiert Jens Malte Fischer, dessen "radikalster Kommentar zum Weltlauf", sie sollte beunruhigen: Dieser Himmel ist das Spiegelbild der aus den Fugen geratenen Fin-de-Siècle-Welt, die Idylle ist unwiderruflich zerbrochen. Konsequent also der Schluss, der ratlos und traurig in einem Morendo der Kontrabässe verdämmert - ein Moment tiefer Erkenntnis, die alles verstummen lässt.

Den ungebrochen heiteren Gegenpol gibt's zu Beginn: Mozarts "Haffner-Symphonie" KV 385, entstanden im zeitlichen Umfeld seiner Hochzeit mit Constanze Weber.

Zum Schluss heben Christoph Eschenbach und das Orchester eine Komposition von Peter Ruzicka aus der Taufe: Im Auftrag des NDR hat er sechs Stücke für großes Orchester mit dem Titel "Einschreibung" verfasst. Der frühere Hamburger Staatsopernintendant und Leiter der Salzburger Festspiele hat sich in seinem Werk immer wieder von Gustav Mahlers Klangsprache inspirieren lassen. Die sechs Stücke verstehen sich, schreibt der Komponist, "als ein 'zweiter Blick' auf musikalische Gestalten, die mich in der Erfahrung mahlerscher Musik geprägt haben".

Abo-Konzerte 10./11.2., jeweils 20 Uhr, Laeiszhalle, Karten: T. 0180/178 79 80; www.ndrticketshop.de