Metropolen müssen wieder von und mit der Umgebung leben und Naturzerstörung rückgängig machen

Die heutige Stadt ist ein völlig anderer Organismus als die Stadt der Vergangenheit. Sie ist ein Produkt der Globalisierung, mit allen Vor- und Nachteilen, die sich daraus ergeben haben. Nun geht es darum, wie eine moderne, städtische Welt existieren kann, ohne die Biosphäre zu zerstören, von deren Wohlsein sie letztlich abhängt.

In seinem Buch "Der isolierte Staat" zeigte der deutsche Geograf Johann Heinrich von Thünen 1826, in welcher Weise Städte damals in ihre umliegende Landschaft eingebettet waren, die sie mit allen Notwendigkeiten versorgte. In unmittelbarer Nähe war die Stadt umringt von Gemüse- und Obstgärten. Weiter draußen lag der Stadtwald: Holz ist schwer, Städte brauchten es als Brenn- und Baustoff, und deshalb war es wichtig, dass der Wald in der Nähe lag. Weiter draußen gab es die Felder für Getreideanbau, und noch weiter entfernt lagen Weiden für Schafe, Kühe und Pferde. Dieses Konzept der Stadt, die eine unmittelbare Beziehung zu ihrer Umwelt hatte, nenne ich Agropolis.

Besonders wichtig für die langfristige Beständigkeit der Stadt war, dass ihre biologischen Abfälle auf die Felder zurückgeführt wurden, um diese für künftige Ernten fruchtbar zu erhalten. So hatten Städte eine symbiotische Beziehung zu der sie umgebenden Landschaft - Agrikultur und Agropolis waren eine eng verkoppelte Einheit.

Manche Städte wie Hamburg konnten durch ihre günstige Lage an Flüssen oder am Meer Handelsbeziehungen entwickeln, die weit über ihre Region hinausreichten. Aber erst die Techniken der industriellen Revolution haben Städte in ein globales Handelssystem eingebunden. Die moderne Stadt ist in ein Produktionsnetzwerk verwoben, das die ganze Erde umspannt.

Mit der industriellen Revolution begann eine radikale Veränderung in der Beziehung zwischen Stadt und Natur. Der Kohlebergbau stellte der Menschheit eine völlig neue Energiequelle zur Verfügung. Öl und Gas haben diese Entwicklung weiter beschleunigt. Heute leben wir in Petropolis: Unsere Städte sind auf den routinemäßigen Verbrauch von fossilen Brennstoffen angewiesen, sie sind für ihre Ernährung, ihre Energieversorgung, ihren Transport und auch für ihre Wasserversorgung von Techniken abhängig, die fossile Brennstoffe einsetzen. Die Städte der Welt, in denen 50 Prozent der Weltbevölkerung leben, verbrauchen rund 80 Prozent an Öl, Gas und Kohle pro Jahr, mit steigender Tendenz. Der Energieverbrauch unserer Städte ist damit Hauptverursacher des Klimawandels, und in Zukunft werden sie bei steigenden Meeresspiegeln auch ein Hauptopfer sein, besonders die großen Küstenstädte der Welt.

Die Welt wird urban: Im Jahr 2011 lebt die Hälfte der Menschheit in Städten, bis zu 80 Prozent in den reichen Ländern. Im Jahr 1800 war London mit etwa einer Million Menschen die größte Stadt der Welt. Dann wuchs die Hauptstadt eines Landes, in dem die fossile Brennstofftechnik entwickelt wurde, in 140 Jahren auf über acht Millionen Einwohner. Wir haben hier quasi den Prototyp einer nicht nachhaltigen Stadtentwicklung auf Basis fossiler Brennstofftechniken. Inzwischen gibt es 500 Städte von über einer Million Menschen und 20 Städte von zehn bis 20 Millionen. Die Stadtregionen von Tokio, Seoul und Chongqing/ Shanghai beherbergen inzwischen sogar mehr als 30 Millionen Menschen.

Heute sind wir am anderen Ende einer historischen Periode, die eine auf fossilen Brennstoffen basierende Stadtentwicklung möglich gemacht hat. Einerseits haben wir wohlhabende Großstädte wie London, New York oder Hamburg, anderseits das Elend in den Slums neuer Megastädte wie Mumbai, Dhaka oder Lagos. Natürlich verbrauchen diese Städte pro Kopf viel weniger fossile Brennstoffe als die Städte reicher Länder, aber dennoch sind auch sie abhängig von Kohle, Öl und Gas.

Petropolis funktioniert im Großen und Ganzen als lineares System: Sie entnimmt der Natur riesige Mengen von Ressourcen, verwendet sie in einer Vielzahl von industriellen Produkten, und gibt dann Abfälle aller Art an die Natur ab, die von dieser meist nur schlecht verdaut werden können. Die Natur selbst ist dagegen ein zirkuläres System: All ihre Abfallstoffe werden von der lebenden Natur absorbiert, um neues Wachstum zu ermöglichen. Und genau das ist das Modell für die Stadt mit Zukunft: Nährstoffe, aber auch Kohlenstoff, müssen wieder so an die Natur abgegeben werden, dass diese langfristig weiter existieren kann.

Auf der ganzen Welt sind die Städte Motoren des Wirtschaftswachstums und Zentren des globalen Handels. Doch im Zeitalter des Klimawandels und der Naturzerstörung müssen Städte eine dynamische neue Rolle spielen. Es geht deshalb darum, die Verantwortung unserer Städte für den globalen Klima- und Umweltschutz neu zu formulieren: Städte müssen entscheidend zur Regeneration gefährdeter oder zerstörter Ökosysteme beitragen.

Die Stadt mit Zukunft heißt Ökopolis. Sie ist von der Notwendigkeit einer regenerativen Beziehung zur Natur geprägt. Gleichzeitig ist sie jedoch auch eine wirtschaftlich aktive Stadt, besonders in Bezug auf Umwelttechnik und erneuerbare Energien.

Ökopolis hat einen kleinen ökologischen Fußabdruck. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie muss in klaren Grenzen gehalten werden. Ökopolis versorgt sich überwiegend aus erneuerbaren Energien aus ihrem Stadtgebiet und aus stadtnahen Landflächen. Null-Emissions-Häuser und -Transportsysteme prägen das Stadtbild, ökologische Wirtschaft ist die Basis städtischer Existenz.

Ökopolis hat einen zirkulären Stoffwechsel, funktioniert in Kreisläufen: Biologische Abfälle werden kompostiert, um nachhaltige Landwirtschaft um die Stadt herum zu ermöglichen. Technische Abfälle werden getrennt recycelt und zu neuen Produkten verarbeitet. Ökopolis ist eine aufs Neue in die umliegende Landschaft eingebettete Stadt, und die Regeneration von Waldgebieten dient besonders auch zur Aufnahme von CO2, um den Gesamtanteil von CO2 in der Atmosphäre zu reduzieren. Die Stadt als System muss im eigenen Interesse konkret dazu beitragen, nicht nur die Natur zu erhalten, sondern Naturzerstörung rückgängig zu machen.

Es gibt viel zu tun. Die Stadt muss als Input-Output-System neu konzipiert werden. Nationale gesetzliche Maßnahmen müssen solche Entwicklungen ermöglichen. In Deutschland wurde mit der Stromeinspeise-Gesetzgebung für erneuerbare Energie und mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz ein guter Anfang gemacht. Aber eben nur ein Anfang. Städte in aller Welt müssen durch eine breite Palette von neuen Gesetzen, aber natürlich auch durch Verhaltensänderung von Bürgern eine neue Existenzbasis finden.

Das Konzept der Ökopolis soll dazu einen Beitrag leisten. Ich habe in den letzten Jahren in verschiedenen Städten gearbeitet, um es zu verwirklichen. Als Europäische Umwelthauptstadt hat Hamburg eine besondere Aufgabe, sich der Frage zu widmen, wie eine Großstadt, deren Wirtschaft so sehr vom globalen Handel abhängig ist, sich zur regenerativen Stadt wandeln kann.

Gezielte Maßnahmen zur Nahversorgung mit erneuerbarer Energie und Lebensmitteln gehören auf jeden Fall zu dem Szenario einer vorbildlichen Umwelthauptstadt. Dazu kommt die Entwicklung eines neuen Bewusstseins über die ökologischen Auswirkungen des globalen Handels. Hier sind neue theoretische und praktische Ansätze erforderlich, die in diesem Jahr erarbeitet werden müssen. Am Anfang und am Ende steht die Frage, in welcher Weise die globale Handelsstadt sich neu verstehen muss - nicht nur als nachhaltiges, sondern als regeneratives System. Wir alle sind gefordert, die Entwicklung von Petropolis zu Ökopolis zu durchdenken und zu gestalten. Zukünftige Generationen werden es uns nicht verzeihen, wenn wir ihnen eine Welt hinterlassen, die ihnen - besonders durch unsere moderne städtische Lebensweise und damit verbunden durch Umweltzerstörung und Klimawandel - ihre Existenzbasis entzogen hat.

Prof. Herbert Girardet ist Mitbegründer und Programmdirektor des World Future Council. Die Broschüre "Regenerative Cities" (engl.) ist beim World Future Council erhältlich: www.worldfuturecouncil.org