Stadtentwicklung muss widersprüchliche Forderungen erfüllen: Sie soll nachhaltig sein, aber auch Wachstum bringen

In diesen Wochen konnte man häufig in Hamburg erleben, wie es wohl in einer Stadt wäre, die dem Ideal einer Ökotopia ziemlich nahegekommen ist. Wo der Lärm des Verkehrs plötzlich bis auf Flüster-Lautstärke heruntergedimmt ist. Wo man nachts bei klarer Luft das Fenster öffnen kann, wo die Straße wieder allen gehört. Das alles bewirkte ein wenig Schneefall.

Kurzfristig zähmten diese sanften Flocken immer wieder den Moloch Stadtverkehr. Als führen sie auf einem schallschluckenden Teppich, schlichen die wenigen Autos über den Asphalt - eine ungewohnte und ersehnte Ruhe legte sich über die Stadt.

Nichts, so ergeben Bürgerbeteiligungsverfahren immer wieder, stört den Hamburger so sehr wie der alltägliche Lärm. Folglich müsste es eigentlich Ziel einer umwelt- und damit auch menschengerechten Stadtentwicklungspolitik sein, den Auto- und Lkw-Verkehr massiv herauszudrängen. Man müsste eine horrende City-Maut einführen, Parkmöglichkeiten drastisch einschränken, Straßen zurückbauen. Kurzum, es wäre Zeit für eine radikale Lösung.

Aber ist eine radikale Lösung auch ein kluge? Wohl kaum. Denn die Verbannung der Motorfahrzeuge bedeutet auch eine Einschränkung der Mobilität. Aber von Mobilität lebt eine Stadt. Der schnelle Austausch gehört zu ihrem Wesen, das Verharren an einem Ort ist Kennzeichen der Provinz. Stadtplanung muss also mit einem Paradox umgehen. Sie muss ermöglichen, dass die Bürger sich schnell und bequem durch die Stadt bewegen können. Und sie muss gewährleisten, dass andere davon nicht über die Maßen gestört werden.

Dieser Widerspruch lässt sich auf den generellen Auftrag von Stadtplanung übertragen: Sie soll nachhaltig sein und sie soll Wachstum bringen. Beides ist quasi Verfassungsauftrag, denn das Grundgesetz fordert das Bemühen um ein "stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum". Und seit 1996 soll der Staat auch die "natürlichen Lebensgrundlagen" schützen.

Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg hat noch versucht, beide Ziele - zumindest theoretisch - zu kombinieren. Wachsen mit Weitsicht nannte sie ihr neues Leitbild, das die wachsende Stadt der CDU mit der ökologischen Stadt der GAL verheiraten sollte. Eine schwierige Ehe, wie sich inzwischen herausgestellt hat.

Die Stadt soll also alles auf einmal leisten - erst recht, wenn sie wie Hamburg in diesem Jahr den Titel Europäische Umwelthauptstadt trägt: weniger Flächen verbrauchen, keine Bäume fällen, Energie sparen, Ruß, Staub, Lärm und, natürlich, CO2 vermeiden. Gleichzeitig verlangt die Wirtschaft mehr Platz, gute Straßen, sichere Energie und tiefere Seewege. Alles steht im Widerspruch zur Nachhaltigkeit. Der Hafen etwa ist nicht gerade ein Ort gepflegter Ökologie, aber er bringt allein Hamburg gut 600 Millionen Steuereinnahmen pro Jahr, Wirtschaftswachstum und gute Jobs. Darauf kann eine Stadt ebenso wenig verzichten wie auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Nachhaltige Stadtentwicklungspolitik kann also nicht alle anderen Ziele ablösen, sie kann sie aber gut ergänzen.

Dieser neue Nachhaltigkeitsgedanke in der Stadtentwicklung hat andere Leitbilder inzwischen tatsächlich schon weit überlagert. So verpflichteten sich 1996 mit der Aalburg-Charta europäische Städte (auch Hamburg), künftig in Verantwortung für spätere Generationen sorgsam mit Luft, Wasser, Boden und Atmosphäre umzugehen.

In solchen Erklärungen stecken gerne mal wolkige, unverbindliche Absichten. Dennoch können sie Stadtentwicklung über Jahrzehnte beeinflussen. 1933 verfassten Architekten und Städteplaner die Charta von Athen. Sie war geleitet von der damaligen Erkenntnis, dass in den alten Städten "ungesunde" Produktionsstätten zu dicht an den Wohnvierteln gebaut waren. Es entstand das Leitbild eines modernen Städtebaus mit konsequenter Trennung der Funktionen. Bis ins heutige Baugesetzbuch mit seinen Festsetzungen in Bebauungsplänen ist dieses Leitbild immer noch wirksam. Es wird aber von anderen Vorstellungen wie jetzt einem Primat der Nachhaltigkeit abgelöst. Alles hat eben seine Zeit.

Und Zeit ist es heute, vor allem aber in der Umwelthauptstadt, die Widersprüche aufzulösen: Mehr Wohnraum in der Stadt zu schaffen bedeutet Wachstum. Es kann aber auch Nachhaltigkeit bedeuten, weil so der Zersiedelung in der Fläche entgegengewirkt wird. Und je dichter wir bauen, desto effektiver und damit nachhaltiger lassen sich Infrastrukturen ausnutzen. Ein Standard-Wohngebäude mitten in der Stadt dürfte daher in der Bilanz die Ressourcen mehr schonen als das beste Öko-Passivhaus irgendwo in den Weiten der Provinz.

Kritisch muss man daher den Anspruch der (inzwischen geschiedenen) schwarz-grünen Ehe in Hamburg sehen, in Sachen Klimaschutz Klassenprimus zu sein und den modernsten Passivhaus-Standard für Neubauten zur Pflicht zu machen. Solche technisch ausgefeilten Häuser brauchen zwar kaum Energie zum Heizen, ihr Bau ist aber teurer und dürfte Mieter oder Eigentümer abschrecken. Augenmaß in den Öko-Anforderungen bringt hier mehr als Maximalforderungen.

In der Verkehrspolitik müsste eine solche Balance hergestellt werden, indem man den Autoverkehr nicht durch Zwangsmaßnahmen herausdrängt, sondern durch vernünftige und möglichst viele Alternativen langsam ersetzt. Auch mit kleinen: Als Erfolg erwies sich das neue Hamburger System mit günstigen Leihfahrrädern, die an vielen Ecken der Stadt bereitstehen.

Nörgler mögen hier einwenden, in diesem Fall ist es ein wenig so, als lägen Eltern schöne Carrera-Autos unter den Tannenbaum, aber keine Bahn. Zweifellos sind etliche Radwege noch häufig reine Buckelpisten. Außerdem zeigt der Winter, wie wenig das Fahrrad noch als ernsthafter Teil des Verkehrs wahrgenommen wird. Die Straßen werden geräumt, die Radwege jedoch waren schon nach den ersten Schneefällen kaum noch zu passieren.

Stadtentwicklung in Zeiten der Nachhaltigkeit kann allerdings punktuell versuchen, auch ehrgeizige Ziele umzusetzen. Die Umwelthauptstadt Hamburg macht dies an zwei Orten: In der HafenCity und auch in Wilhelmsburg, wo die Internationale Bauausstellung (IBA) Beispiele für eine Stadt der Zukunft setzen will.

Um immerhin 40 Prozent wird die HafenCity einmal die Innenstadt erweitert haben. Und das, ohne Rücksicht auf eine vorhandene Bebauung nehmen zu müssen. Unter Nachhaltigkeitsaspekten konnten die Planer da einiges umsetzen und taten es auch: Fuß- und Radwege sind in der HafenCity beispielsweise viel großzügiger angelegt als anderswo in der Stadt. Insgesamt kommen so auf zweieinhalb Kilometer mehr Fuß- und Radwegstrecken als reine Fahrstraßen. Die Dichte von Fußwegen ist gut 50 Prozent höher als in den beliebten Gründerzeitvierteln Hamburgs. Und zu 70 Prozent verlaufen Fuß- und Radwege in der HafenCity sogar völlig getrennt vom Autoverkehr.

Viele der neuen Gebäude hier haben wegen ihrer teils sehr modernen Architektur nicht nur Freunde - aber der Öko-Standard ist oft beispielhaft: Beim "Spiegel"-Neubau an der Ericusspitze etwa werden Erdwärme und Sonnenkraft zum Einsatz kommen. Für die östliche HafenCity hat ein Fernwärmekonzept den Zuschlag bekommen, bei dem als Energieträger Holz und nicht mehr Kohle, Gas oder Öl eingesetzt wird. Und in der östlichen, noch zu bauenden HafenCity sollen Konzepte des autofreien Wohnens gefördert werden - etwa durch Car-Sharing-Systeme.

Auf der anderen Elbseite fördert die IBA unterdessen experimentierfreudige Bauten, die den Nachhaltigkeitsgedanken voranbringen sollen: Smart Material Houses zum Beispiel sollen ihre Fassadenelemente so ausrichten können, dass sie sich optimalen Besonnungszeiten anpassen können, um Energie zu sparen.

Solche Technik ist spannend und damit faszinierend. Und das dürfte die beste Voraussetzung sein, um die Bürger für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu begeistern. Womit das wichtigste Ziel schon erreicht wäre.