NDR Sinfonieorchester begleitet den rekonstruierten Filmklassiker “Metropolis“

Der Retter war nicht der Prinz, sondern die Orchesterpartitur. Es gibt Märchen - und es gibt Geschichten, die können nur in einem Film passieren. Wie die von "Metropolis", dem sagenumwobenen Allzeitmeisterwerk des Regisseurs Fritz Lang.

Dass der mehr als 80 Jahre alte Film bei der diesjährigen Berlinale seine umjubelte Weltpremiere erleben konnte, verdankt er einer Reihe schicksalhafter Koinzidenzen - und der Filmmusik von Gottfried Huppertz. Im Dezember kommt das rekonstruierte Gesamtkunstwerk nach Kampnagel; es spielt das NDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Frank Strobel, Chef der Europäischen Filmphilharmonie und einer von ganz wenigen Filmmusikspezialisten auf der Welt.

Auch wer Langs rauschhaft-expressionistische Schilderung der futuristischen Großstadt mit ihrer dekadenten Oberschicht und der düster stampfenden Maschinenwelt der Arbeiter nie gesehen hat, glaubt sie zu kennen. So sehr ist der Film Teil unseres kollektiven Bildschatzes. Er war es sogar in der verstümmelten Fassung, die 83 Jahre lang die einzig verfügbare war: "Metropolis" ist in seiner ursprünglichen Gestalt nur wenige Monate gelaufen.

Nachdem er bei seiner Uraufführung 1927 in Berlin grandios durchgefallen war - der britische Autor H.G. Wells etwa tat ihn in der "New York Times" kurzerhand als "den allerdümmsten Film" ab - wurde er um rund eine halbe Stunde gekürzt. Das herausgeschnittene Material ging verloren. Keinem der zahlreichen Rekonstruktionsversuche ist es gelungen, die logischen Sprünge und Lücken in der verzweigten Handlung zu beseitigen.

Bis 2008 in einem stillgelegten Filmmuseum in Buenos Aires eine vergessene Kopie auftauchte, die wunderbarerweise nur sechs Minuten kürzer war als die Ursprungsfassung. Nur war sie voller Kratzer, Staub, Ölflecken, Löcher, Klebestellen - ein Albtraum für die Restauratoren. Und da auch für diese Fassung Szenen umgeschnitten worden waren, war Puzzlearbeit angesagt.

Ohne Huppertz' Partitur wäre sie nicht zu leisten gewesen. Der erfahrene Filmkomponist hat mehr als tausend sogenannte Synchronpunkte notiert: Hinweise, zu welchem Bild was zu erklingen hat - exakt bis auf den kleinsten Notenwert. So erwies sich die Musik als Rückgrat des Films.

Doch die restaurierte Fassung gibt der Musik auch etwas zurück. Sie macht erst deutlich, wie kongenial Huppertz' Musik sich dem Film anverwandelt: Traumwandlerisch changiert sie zwischen den Stilen. Mal swingt der Revuerhythmus der 20er-Jahre und mal erklingt ein Kirchenchoral, dann wieder leuchtet Wagners "Parsifal" durch oder Strawinskys "Sacre du Printemps".

"Huppertz dachte perfekt in Bildern", sagt Frank Strobel. "Und die Musik illustriert nicht nur, manchmal schafft sie eine eigenständige psychologische Innensicht." So sieht man gegen Ende den Kampf zwischen Freder und Rotwang auf dem Dach des Domes. Die Musik bleibt aber motivisch bei Freders Vater, der in den Einstellungen davor und danach angstvoll nach oben blickt.

Wenige Menschen sind mit "Metropolis" so vertraut wie Strobel. Seit der 15-Jährige, dessen Eltern im Münchner Olympiadorf ein Programmkino betrieben, Fritz Langs Werk zum ersten Mal sah, ist er dem Film verfallen. Die jetzige Rekonstruktion ist seine siebte; angefangen hat er mit einer Bearbeitung für zwei Klaviere. "Metropolis" hat Strobels Karriere begleitet, und die ist im Wortsinne singulär: "Es gibt vielleicht zwei oder drei Kollegen auf der Welt, die sich dem Film in derselben Intensität verschrieben haben wie ich."

Vielleicht hatte ja doch ein Märchenprinz seine Hand im Spiel bei der Wiedergeburt von "Metropolis".

Metropolis 3. und 4.12., jeweils 20 Uhr, Kampnagel. Karten unter T. 0180/178 79 80