Alan Gilbert dirigiert Gustav Mahlers Sechste Sinfonie

Dramatiker von Euripides bis Heiner Müller hat es beschäftigt, und auch im Alltag kann uns das Phänomen in den unerwartetsten Situationen begegnen: "Das ist ja tragisch!" Mit diesem Ausruf reagieren wir fast unwillkürlich, sobald das Schicksal wieder einmal zugeschlagen hat und kein anderer Ausweg mehr offen ist als jener, der geradewegs zum Schlimmsten führt. Tragisch ist der Lebensweg König Lears, Wotans, Egmonts oder Toscas; doch auch im Konzertsaal begegnen wir Stücken, die unleugbar tragisch anmuten: die Kopfsätze aus Beethovens Fünfter oder Schuberts "Unvollendeter" etwa, von Tschaikowskys "Pathétique" zu schweigen. Beispiele einer Musik, die mit gnadenloser Stringenz die Macht des Schicksals beschwört und seine Wirkung auf den Menschen bis zum emotionalen Showdown, bis zum tragischen Ende denkt.

Mahlers Sechste Sinfonie, von ihm selbst als "Tragische" bezeichnet, stellt in dieser Hinsicht ein Extrem dar: Das Werk wurde vornehmlich wegen des pessimistischen Ausklangs seines gewaltigen Finalsatzes immer wieder als Fanal einer düsteren Epoche gedeutet - als Vorahnung nahender Weltkriege und drohender Katastrophen. Mahler komponierte das viersätzige Werk in den Jahren 1903 und 1904 während seiner Ferien in Maiernigg am Wörthersee. Es war der zweite Sommer nach seiner Heirat mit der umschwärmten jungen Wienerin Alma Schindler, die 1902 und 1904 die beiden gemeinsamen Töchter zur Welt brachte. Fast unbegreiflich erscheint es da, dass Mahler damals nicht nur die Entwürfe zur Sechsten, sondern auch noch den Zyklus der "Kindertotenlieder" vollendet: Selten dürfte die Lebenssituation eines Künstlers in größerem Gegensatz zu seinen Werken gestanden haben! Der Hamburger Mahler-Forscher Constantin Floros bemerkte dazu, man brauche kein Tiefenpsychologe zu sein, um nachzuvollziehen, "dass die Untergangsvisionen, die Mahler bei der Konzeption dieser Symphonie bedrängten, aus tief sitzenden Ängsten erwuchsen."

Auch Alma stellt in ihren Erinnerungen unmissverständlich fest: "Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen. Wir weinten damals beide. So tief fühlten wir diese Musik und was sie vorahnend verriet. Die Sechste ist sein allerpersönlichstes Werk und ein prophetisches obendrein." Diese fatalistische Untergangsprophetie spiegelt sich in zahllosen Einzelheiten der Komposition wider; die spektakulärste ist fraglos ein besonderes Klangsymbol im Finalsatz. Mahler verlangt hier ein Schlag-Instrument im Wortsinne: einen riesigen Hammer, dessen "kurzer, mächtig, aber dumpf hallender Schlag" ursprünglich dreimal "wie ein Axthieb" fallen sollte. Über die Bedeutung ließ Mahler keinen Zweifel: Dies sei der "Held" seiner Sinfonie, der "drei Schicksalsschläge bekommt, von denen ihn der dritte fällt".

Abo-Konzert 9.12., 20 Uhr, und 12.12, 11 Uhr, beide Laeiszhalle. Karten unter T. 0180/178 79 80