Die Ausstellung “Heimat Bando“ erzählt von Schicksalen der Deutschen in Japan während des Ersten Weltkrieges

"Dem Fremden soll man die Ehre lassen", heißt es in einem alten Sprichwort. Wie dieses auf höchst ungewöhnliche Weise gelebt wurde, erzählt die Geschichte eines deutschen Kriegsgefangenenlagers in Japan während des Ersten Weltkriegs. Und dass diese Geschichte fast 100 Jahre später einer größeren Öffentlichkeit bekannt wird, ist das Verdienst des Hamburger Malers, Bildhauers und Fotokünstlers Werner Schaarmann. Das Helms-Museum zeigt in einer Sonderausstellung die Ergebnisse einer fotografischen Spurensuche. "Heimat Bando", so der Titel der Schau.

Wie passt ein solches Thema überhaupt in ein archäologisches Museum? Professor Rainer-Maria Weiss, Direktor des Helms-Museums, erklärt: "Uns hat eine grundlegende Frage archäologischer Forschung interessiert. Welche Spuren hinterlässt ein Aufenthalt fremder Ethnien - auch wenn er nur von kurzer Dauer gewesen ist - im einheimischen Milieu? Dieselbe Frage, die wir uns auch stellen, wenn wir beispielsweise die Folgen der Völkerwanderung zwischen dem vierten bis sechsten nachchristlichen Jahrhundert untersuchen, als verschiedene Völker quer durch das heutige Europa zogen."

Werner Schaarmanns Arbeit auf dem Sektor der Spurensuche hat neben langjährigen Verbindungen über Stipendien und Ausstellungen in Japan auch persönliche Hintergründe. Bei Nachforschungen über seinen Großvater, einen am Ende des 19. Jahrhunderts in Potsdam stationierten Leibgarde-Husaren, stieß er auf den Fluchtweg des jungen Friedrich II. bis in die Festung Küstrin im heutigen Polen. Die Anlage ist mittlerweile zerfallen, erhalten geblieben sind verkohlte Parkett- und Marmorfußböden. Von diesen nahm der Künstler Gipsabdrücke. Die Negativ-Abformungen ließen Rückschlüsse auf die Gestaltung der Räume zu und auch auf das Alltagsleben in der Festung bis zu ihrer Zerstörung während des Zweiten Weltkriegs.

Das Thema Flucht, Vertreibung und Emigration ließ Werner Schaarmann nicht mehr los. Über Tagebücher von Kriegskameraden seines Großvaters gelangte er schließlich nach Japan, nach Bando. Der Ort hat heute etwa 6000 Einwohner und liegt auf der Insel Shikoku, der kleinsten der vier japanischen Hauptinseln. Das Lager wurde im April 1917 in Betrieb genommen und im Dezember 1919 geschlossen. Etwa 1000 Soldaten waren dort inhaftiert, darunter sehr viele Deutsche. Waren in zahlreichen Gefangenenlagern Schikanen und Misshandlungen an der Tagesordnung, so galt Bando als ein besonders liberales Lager.

Kommandant Matsune stammte aus einer alten Samurai-Familie, die Jahrhunderte zuvor verbannt worden war. Mit dem Thema Vertreibung hatte er sich von klein auf befasst. Er verfügte größtmögliche Bewegungsfreiheit für die Soldaten. Außerdem sollten sie ihre beruflichen Fähigkeiten einsetzen können. Viele der Inhaftierten waren Handwerker: Bäcker, Schuster, Urmacher, Schneider, Schlosser, Klempner und vieles mehr. Einige der Erzeugnisse aus dem Lager wurden nach Deutschland exportiert, andere an die heimische Bevölkerung verkauft. So entstand ein Netzwerk, gemeinsam mit in Japan lebenden deutschen Kaufleuten, die Zugang zum Lager hatten und die gefangenen Landsleute mitversorgten.

Sportplätze und ein Tennisplatz für die Offiziere entstanden rund um das Lager, es gab täglich erscheinende Informationsblätter und eine eigene Zeitung. Die Soldaten gründeten Theatergruppen, Chorkonzerte fanden statt, Kammermusik und Liederabende. 1918 wurde im Lager Bando Beethovens Symphonie Nr. 9 uraufgeführt. Heute wird sie in zahlreichen japanischen Städten zu den Neujahrsfeierlichkeiten gespielt. Das Leben der Soldaten erinnerte eher an eine Kleinstadt als ein Gefangenenlager. Weswegen der Lagerkommandant den Beinamen "japanischer Humanist" erhielt.

Die Inhaftierten hatten bei ihren Arbeitseinsätzen täglich Kontakt zur japanischen Bevölkerung, welche die handwerklichen Kenntnisse der Deutschen gern annahm. Den Gefangenen gelang es, ihre Kultur sichtbar und hörbar zu machen. Menschlichkeit, Respekt und Hilfsbereitschaft unter und gegenüber Kriegsgefangenen - dafür findet Werner Schaarmann eine Erklärung. "Preußen und das alte Japan sind wesensverwandt, und darin liegt der Schlüssel für das gute Verhältnis beider Länder."

Auch nach Auflösung des Lagers setzten sich die guten Beziehungen fort, denn einige der Soldaten kehrten nicht nach Deutschland zurück, sondern blieben in Japan. Auch wenn von den Lagergebäuden heute nur noch die Grundmauern zu erkennen sind, so ist die Erinnerung an diese Zeit vor allem durch mündliche Überlieferung noch lebendig. Mithilfe des örtlichen Archivs, in dem Schaarmann historische Fotos der Soldaten fand, konnten vergleichende Fotografien gemacht werden. Diese Ergebnisse führten wiederum zu Kontakten zu Zeitzeugen und archäologischen Funden vor Ort. Auf den Grabsteinen eines Friedhofs fand er deutsche Namen. Er entdeckte einen Stall, den die Soldaten für die Rinderzucht gebaut hatten, die Fundamente einer Holzbrücke, Gemüsegärten an genau der Stelle, wo auch im Lager Gemüse gezogen wurde, und die "Doitsuken", die deutsche Bäckerei, in der seit 1920 deutsches Brot nach dem Rezept der Bando-Lagerbäckerei zu kaufen ist. Zeitzeugen meldeten sich. Ein 1913 geborener Mann erzählte, wie er als kleiner Junge von den deutschen Soldaten Süßigkeiten geschenkt bekam.

Deutsche Kultur genießt heute in Japan hohen Stellenwert, und die Normalisierung der deutsch-japanischen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte auch aufgrund der positiven Erfahrungen in Bando. Werner Schaarmann hat mit seinen Fotografien von wiederaufgefundenen Orten und Interviews von Zeitzeugen die Lebensspuren der Deutschen in Japan sichtbar gemacht.

Heimat Bando 25.11.2010 bis 31.01.2011, Archäologisches Museum Hamburg - Helms-Museum, Museumsplatz 2, 21073 Hamburg, Di-So 10.00-17.00