An was glauben Sie? Mit seiner Lichtkunst will Michael Batz das Göttliche in Kirchen sichtbar machen. Doch mit seinem Glauben an Gott hadert er immer wieder - seit der Kindheit, in der er eine Überdosis Religion mitbekommen hat

Wenn man Michael Batz, 59, nach seinem Glauben fragt, antwortet er mit einem fast biblischen Bild. "Ich musste erst in die Wüste gehen. Musste neu anfangen, um zu sehen, wo ich hinkomme." Er sei, sagt er, auf einer Pilgerschaft, die ihr Ziel noch sucht. Okay, klingt interessant, aber auch ziemlich kompliziert. Schnell wird klar, der Mann ist ein Zweifler. Einer, der es sich nicht leicht macht. Schließlich ist er Künstler. Sein Medium ist das Licht. Es geht ihm um die "Balance zwischen Sichtbarkeit und Vorstellbarkeit". Er ist auch Autor, Theatermacher (u. a. Hamburger Jedermann). Grenzgänger, dass ist so ein Begriff, der ihm gefällt. Jetzt geht es um Glauben. Seinen Glauben. Das ist sehr privat. Und ein bisschen wirkt es so, als spreche er nicht gern darüber, und dann auch wieder, als müsse er genau das immer wieder tun.

Treffpunkt St. Michaelis, vor Portal neun. Natürlich ist das kein Zufall. Michael Batz hat eine besondere Beziehung zu dieser Kirche - und zu Türen. "Kunst ist, eine Tür zu etwas zu öffnen, das wir nicht nennen können", sagt er. Der Michel hat zehn Eingänge. Vor sieben Jahren hat Batz für Nummer eins sein erstes Portalspiel geschrieben, Ende Oktober wird er das neunte aufführen. Die Idee zu dem Zyklus war während der Arbeit an einem Lichtkonzept für den Michel entstanden. Und irgendwie ist sie ein ziemlich gutes Sinnbild für das, was diesen Mann antreibt. "Wenn du irgendwo hin willst, musst du dir eine Tür bauen", zitiert er ein altes Sprichwort. Wie passend, dass sein neues Michel-Stück von fahrenden Gesellen handelt, Zimmermännern. "Jesus war auch Zimmermann", sagt Batz. Er trägt Schwarz an diesem Spätsommertag. Lässig-eleganter Anzug, schwarzes Hemd. Die Haare, wie immer ungebändigt, als sei er fortwährend Wind ausgesetzt. Natürlich von vorn. Im Gespräch sagt er Sätze wie diesen: "Glaube ist nicht Gewissheit, sondern Offenheit."

Um das zu verstehen, muss man ihm in seine Kindheit folgen, ins Hannover der 50er- und 60er-Jahre. In seinem Elternhaus habe eine fundamentalistische, sinnenfeindliche Form der evangelischen Glaubensausübung geherrscht, mit fast mittelalterlichen Zügen. Und er setzt sogar noch nach: Vergleichbar mit der Glaubensstriktheit der Taliban sei es gewesen: "Glaube war eine Überdosis Gift."

Es gibt kein Telefon, keinen Fernseher, keine Comics in diesem Jungenleben. Kartenspiele gelten als "des Teufels Gebetbuch". Im Bücherregal stehen die Klassiker und Titel wie "Ist Tanzen Sünde?". "Mein größter Sieg war, dass ich mit 15 Jahren einen Plattenspieler haben durfte." Statt Rock 'n' Roll dreht sich bei Batz die Aufnahme einer "Faust"-Inszenierung mit Gustaf Gründgens als Mephisto auf dem Teller. Irgendwann kann er eine zweite Schallplatte ergattern, "Rubber Soul" von den Beatles. Ein heimlicher Sieg. Er habe, sagt Batz, schon früh gespürt, dass seine Familie anders war als die anderen. Allein mit seinen Eltern in einer Glaubenswelt irgendwo zwischen Pietismus, entschiedenem Christentum und Zeltmission gefangen, in der Sünden, Hölle und Tod regieren, habe er sich "nie als Teil der Gesellschaft gefühlt." Auch nicht einer Gemeinde. Er bleibt für sich, liest die deutschen Klassiker, Platon, auch buddhistische Schriften. Und er geht, sobald er kann. "Einen Tag nach dem Abitur habe ich Hannover verlassen", sagt Batz. Da war der Vater schon tot, die Mutter aufs Land gezogen. Sein Kirchenaustritt ist ein Befreiungsschlag.

Wie passt das zusammen? Einer, der so sehr an Glauben und Religion gelitten hat, der konfirmiert ist, aber nicht kirchlich geheiratet hat - und dessen künstlerische Arbeit so häufig um Kirchen kreist? 1996 machte er in St. Johannis zum ersten Mal eine Kirche zum Spielort. 2000 inszenierte er den Liebesabend zum 750. Jubiläum von St. Katharinen, im gleichen Jahr bespielte er die fünf Lübecker Hauptkirchen mit seiner "Woche der Engel".

Immer wieder macht er - neben anderen Projekten wie den bundesweit beachteten Blue Goals während der Fußballweltmeisterschaft 2006 oder der Erhellung des Reichstags zum 60. Jubiläum der Bundesrepublik im vergangenen Jahr - Lichtkonzepte für Kirchen, illuminierte gerade erst bei der "Nacht der Kirchen" am 18. September St. Petri.

"Ich habe ja keine Aversion gegen Kirchenräume", sagt Batz. Er sei mit den Jahren sogar zu ihrem Verteidiger geworden, etwa wenn es um Kirchenentweihungen und -verkäufe gehe. "Das Spirituelle braucht Bilder", sagt er. Mit seiner Lichtkunst will er "die göttliche Dimension sichtbar machen". Die Kirche als Institution des Glaubens braucht er dafür nicht. Und schon gar kein "Glaubenskorsett". "Ich fühle mich als Teil der Gemeinde derjenigen, die das Leben feiern können, weil sie diese Offenheit haben."

Der Gegenentwurf zum Glauben seiner Kindheit. Da ist er wieder bei den Grundfesten, die sein Leben bestimmen. Keine Gewissheit zulassen, sondern nur Dialog und Frage. Er hat in Marburg studiert, Germanistik, Literatur, Philosophie, Geschichte, auch Kunst und Archäologie. Bei einer Exkursion ins südfranzösische Arles habe er in einer Abbildung zum ersten Mal Jesus als strahlenden Jüngling gesehen - und nicht als Leidenden. "Da wurde mir bewusst, dass Glauben auch Freude sein kann und nicht nur Sünde und Hölle." Ein Schlüsselerlebnis.

Im Theater hat er seine Form der Erkenntnissuche gefunden: als sinnliche Erfahrung. So ist er schließlich auch zum Licht als künstlerisches Ausdrucksmittel gekommen. Und hat sich auf den Weg gemacht. Ein Wanderer auf der Suche, so sieht er sich. "Dieser Lebensstil hat mich gerettet", sagt er. Und wie steht es nun mit dem Glauben? Zum ersten Mal schweigt Batz. Kurz. "Ich glaube an die Liebe", sagt er. An Gott? Nein, er schüttelt den Kopf. "Ich müsste lange darüber nachdenken."

Die Aufführung der neunten Michel-Portalspiele, "Über fahrende Gesellen", ist am 23. und 24. Oktober. Michael Batz erzählt seine Geschichte mit vier Schauspielern und einem Ansager. Beginn ist um 17 Uhr vor Portal neun der St.-Michaelis-Kirche.