Master Sommelier Hendrik Thoma über die Hamburger und ihre Vorurteile rund um den Weingenuss

Hamburg. Der Hamburger und der Wein, das ist eine alte Liebe. Aber wie in jeder Beziehung kriselt es auch hier immer mal wieder.

Zum Beispiel dann, wenn dem Wein so viel Misstrauen entgegengebracht wird wie dem eigenen Partner, wenn der mal unangekündigt erst nachts um vier nach Hause kommt. Beim Wein geht das Misstrauen nur in eine andere Richtung: "Das trink ich dem Wein nicht ab", sagt der Hamburger und meint: Ob der so deutlich gut ist wie er kostet, merke ich sowieso nicht. Und schließt messerscharf: Dann nehme ich lieber einen billigeren. Ein bisschen mehr Selbstvertrauen, bitte! Mehr oder weniger Geld ist nicht Maßstab für Genuss; und Neugier, Einfühlungsvermögen, Passion und Freude machen das Leben wertvoller - erst recht mit einem guten Wein.

Es gibt eine weit verbreitete Vorliebe, besonders gegenüber Weißweinen, die ebenso unsinnig ist - der Jugendwahn. Sie müssen angeblich blutjung getrunken werden. Sobald der Wein etwas Reife zeigt, sprechen die Vertreter des Jugendwahns von Firnen - dabei sind das die wertvollen Alterungsnoten! Zwar müssen viele Weine tatsächlich jung getrunken werden, denn nur wenige haben überhaupt ein Reifepotenzial. Auch viele Rotweine müssen nicht altern. Ein junger fruchtiger Zweigelt schmeckt köstlich in seiner Fruchtphase. Aber wenn es der Wein hergibt, lohnt es sich, den feinen Aromen seiner Alterung nachzuspüren.

Und dann ärgert mich der Wein-Rassismus. Nach dem Motto "Alte Welt gut, neue Welt schlecht" hält man alle Weine Europas für noch regelgerecht handwerklich hergestellt. Amerikanischer Wein gilt als Plastikwein und was aus Australien, Südafrika und Südamerika kommt als schwerst bedenklich.

Dabei sind fragwürdige Verfahren inzwischen überall auf der Welt zulässig. Im Keller wird der Wein - beim sogenannten "Cone Spinning" - in Einzelteile zerlegt und neu komponiert, um ein immer identisches Aroma zu produzieren. Es gibt das Chaptalisieren (Anreichern des Mosts mit Zucker, damit nach der Gärung mehr Alkohol vorhanden ist), Mostkonzentration, Cross Flow Filter, zugesetzte Zitronensäure, genmanipulierte Hefen. Wo die Industrie Spielraum sieht, nutzt sie ihn, um Mainstream-Weine zu erzeugen. Dagegen kann man mit schlichtem Achten auf die Herkunft nichts ausrichten, man muss sich schon besser informieren.

"Der ist ganz schön nass", sagt der Hamburger, wenn ein Wein Fruchtsüße hat. Das ist dem Hanseaten höchst verdächtig. Teils zu Recht, denn der Ruf fruchtsüßer Weine ist leider immer noch durch die Billigspätlesen ramponiert. Schade, denn Deutschland hatte einst eine große Tradition dafür. Viel Weine (auch Soave, Pinot Grigio, Chardonnay etc.) sind nie ganz trocken, aber bei Riesling zum Beispiel von der Mosel oder aus dem Rheingau macht die natürliche (nicht etwa zugesetzte) Süße Sinn - Der Wein hat nämlich auch Säure, die Süße sorgt für die feine Balance.

Am Ende will ich noch einmal für mehr Mut beim Wein-Probieren plädieren. Wer immer dasselbe trinkt, kann keinen Geschmack entwickeln. Wein sollte man wertschätzen und bewusst trinken. Selbst dem Geschmack auf die Spur kommen, den eigenen Sinn dafür kultivieren. Über Geschmack lässt sich trefflich diskutieren - wenn man einen hat.