Eine Schau dokumentiert 100 Jahre Reemtsma und wie die Zigarette zur Marke wurde

Es war eine rätselhafte Aktion: Im Jahr 1920 wurden auf Bahnhöfen insgesamt etwa 6000 Plakate angebracht, auf denen ohne weitere Erklärung der stilisierte Drachenkopf eines Wikingerbootes mit einer aufgehenden Sonne zu sehen war. Kopfschüttelnd betrachteten viele Reisende dieses merkwürdige Motiv, das sich keiner erklären konnte. Erst nach Wochen gab es des Rätsels Lösung: Nun prangte neben dem Logo der Name der Zigarettenfirma Reemtsma. Diese beispiellose Werbeaktion führte dazu, dass die noch junge Firma mit einem Schlag deutschlandweit bekannt war.

Das Logo, das der renommierte Berliner Werbegrafiker Wilhelm Heinrich Deffke (1887-1950) entworfen hatte, ist gleich im Eingangsbereich der Ausstellung "Werbewelten made in Hamburg" zu sehen, mit der das Museum der Arbeit nicht nur an das 100-jährige Bestehen der Firma Reemtsma erinnert, sondern darüber hinaus auch an die Bedeutung des Tabakhandels für Hamburg und Altona, an die Zigarettenherstellung, vor allem aber an die Geschichte der Markenentwicklung.

"Wir wollten natürlich keine Raucherausstellung machen, sondern das Thema Reemtsma vor allem dafür nutzen, ein Panorama deutscher Werbegeschichte zu zeichnen", sagt Ausstellungskurator Stefan Rahner, der bei Vorbereitung und Konzeption buchstäblich aus dem Vollen schöpfen konnte: Bereits 2004 hatte das Museum das Werbemittel- und das Fotoarchiv sowie die Tabakhistorische Sammlung der inzwischen zu Imperial Tobacco gehörenden Reemtsma Cigarettenfabriken übernommen, ein enormer Fundus mit mehr als 70 000 Fotografien, Zehntausenden Entwürfen, Plakaten und zahllosen Werbeobjekten. In der Ausstellung sind auf 700 Quadratmetern mehr als 500 Bilder und Objekte zu sehen, von Zigarettenschachteln bis zu Plakatentwürfen, von Fotografien bis hin zu Modellen und Werbemitteln.

Obwohl das Thema bewusst sehr weit gefasst ist, zeichnet die aufwendig inszenierte Ausstellung natürlich auch die Geschichte der Zigarettenfirma Reemtsma nach, die 1910 in Erfurt gegründet wurde und 1923 nach Altona-Bahrenfeld umzog. Hamburg mit seinem Freihafen war der ideale Standort für einen Betrieb, der auf die Einfuhr von Tabak angewiesen war. In den 20er-Jahren gab es in Hamburg etwa 40 Zigarettenfabriken, für die die Stadt zugleich ihr wichtigster Markt blieb.

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es oft unter einem einzigen Namen verschiedene Zigarettensorten, die in Format, Qualität und Preis variierten. Sie waren kürzer oder länger, dick oder dünn, rund oder oval, hatten ein Mundstück oder eben nicht. Wer eine Sorte kaufte, wusste letztlich nie, was ihn genau erwartete, denn Marken gab es nicht. "Für die Markenentwicklung hat Reemtsma in Deutschland Pionierarbeit geleistet", sagt Stefan Rahner. Aber was unterscheidet eine Marke von einer Sorte? "Die Qualität, das Aussehen und im Prinzip auch der Preis einer Marke bleiben über einen längeren Zeitraum gleich. Das Qualitätsversprechen, für das früher der persönlich bekannte Händler bürgte, wurde nun von der Marke eingelöst." Doch um das zu erreichen, bedurfte es nicht nur der Qualitätssicherung, sondern auch eines hohen Werbeaufwandes.

Noch vor Tee, Kaffee und Zucker war Tabak das erste außereuropäische Genussmittel, das sich in der europäischen Kultur etablieren konnte. Und bei der Werbung für dieses Genussmittel, dessen gesundheitliche Gefahren übrigens erst seit den 60er-Jahren nach und nach thematisiert wurden, spielte das Image von Anfang an eine herausragende Rolle.

Da der Tabak aus Übersee, zum großen Teil auch aus dem Orient, eingeführt wurde, setzte die frühe Markenwerbung vor allem auf die Exotik der Ferne und im besonderen Maß auf die Faszination des Orients. Auf Werbeplakaten und Zigarettenpackungen erschienen nun Haremsdamen, Wüstenscheichs, Pyramiden, Sphingen und Kamele - ein Themen- und Motivkreis, der bestens zu der Ägyptomanie passte, die sich seit Howard Carters Entdeckung des Tutanchamun-Grabes im Jahr 1922 über ganz Europa ausbreitete.

Aber neben Exotik und der Lust auf ferne Länder setzten die Werbestrategen auch auf heimische Themen, wobei ein völlig neues Medium eingesetzt wurde: die Sammelbilder. Mit unterschiedlichen Strategien setzte Reemtsma, wie auch seine Konkurrenten, auf die Sammelleidenschaft der Raucher und deren Familien, indem sie Bildserien druckten, die entweder den Packungen beilagen oder aber über ein Wertmarkensystem erworben werden konnten. In einer Zeit, in der die Medienwelt noch von keiner visuellen Flut überschwemmt wurde, galten Bilder als wertvoll, vor allem wenn sie attraktiv vermarktet wurden.

Für die Sammelbilder gab es Alben, in die die einzelnen Motive als zusammenhängende Serie eingeklebt werden konnten. Diese Alben hatten ein außerordentlich wertiges Image und standen im heimischen Bücherregal kostbaren Bildbänden keineswegs nach. Es gab Serien zu den Themen "Deutsche Märchen", "Aus Wald und Flur", zu kunstgeschichtlichen Epochen, aber auch solche mit nationalistischem Inhalt wie - während des Ersten Weltkriegs - die Serie "Unser Kaiser".

Während in den 20er-Jahren in der Zigarettenwerbung neben Männern auch selbstbewusste, rauchende Frauen auftauchten und Luxus zum wichtigen Thema wurde, änderten sich die Inhalte nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten erheblich. Rauchende Frauen waren tabu, in Cafés und auf Litfasssäulen tauchten Plakate mit dem Verdikt "Eine deutsche Frau raucht nicht!" auf. Und auch Luxus durfte fortan nicht mehr propagiert werden. Stattdessen stellte sich in den Jahren 1933 bis 1935 eine Kampagne für die Reemtsma-Marke R 6 ganz in den Dienst der Volksbildung und brachte in 54 Folgen über einen Zeitraum von vielen Monaten hinweg eine Tabakkunde unters Volk: vom Anbau in fernen Ländern, einer Sortenkunde und dem Transport per Schiff über die Weiterverarbeitung in Deutschland bis hin zur Zigarettenproduktion.

Thema der Sammelbilder waren nun die Berliner Olympiade von 1936, aber auch Serien wie "Deutschland erwache" und nach Kriegsbeginn "Raubstaat England", die gezielt nationalsozialistische und antisemitische Ressentiments propagierten. Eine der erfolgreichsten Serien zeichnete die Karriere Adolf Hitlers nach. Der Sammelband mit Aufnahmen von Hitlers "Leibfotografen" Heinrich Hoffmann erreichte eine Auflage von vier bis fünf Millionen Exemplaren.

Während deutsche Raucher Hitler-Bilder in Alben klebten, schufteten im Reemtsma-Werk Hannover 103 polnische Zwangsarbeiterinnen. Sie waren aus ihren Heimatdörfern brutal vertrieben und nach Deutschland verschleppt worden. Auch jenseits dieses düsteren Kapitels spielt die Arbeit innerhalb der Ausstellung eine wichtige Rolle. Thematisiert wird der Tabakanbau in Amerika und in orientalischen Ländern, die Ernte, der Transport per Schiff nach Hamburg, die Arbeit der Quartiersleute und schließlich die Produktion.

Im Lauf des 20. Jahrhunderts veränderte sich auch der Geschmack erheblich, sowohl im eigentlichen Sinn, als auch in ästhetischer Hinsicht. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland fast ausschließlich Zigaretten aus Orient-Tabaken hergestellt. Der Tabak kam vor allem aus Griechenland, der Türkei und Bulgarien. In den USA baute man dagegen Virginia- und Burley-Tabake an und entwickelte die "American-Blend"-Zigarette, die nicht nur eine andere chemische Zusammensetzung hatte, sondern sich auch geschmacklich von den "Orient"-Sorten unerschied. Vor allem wurde das Nikotin nun nicht mehr über die Mundschleimhaut, sondern über die Lunge aufgenommen, was das Konsumverhalten erheblich veränderte.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte in Westdeutschland auch das Ende der "Orient"-Zigarette: Die "Ami-Zigaretten", die bis zur Währungsreform 1948 als klassische Schwarzmarktwährung dienten, setzten sich innerhalb von wenigen Jahren durch, nicht zuletzt, weil sich mit dem neuen Geschmack auch ein neues Lebensgefühl verband. American Blend stand für den American Way of Life, für die neue Freiheit und für Modernität. Reemtsma brachte das mit dem Werbeslogan "Der Duft der großen weiten Welt" für seine Marke Peter Stuyvesant auf eine sprichwörtlich gewordene Formel. Auf dem von Fritz Bühler entworfenen Werbeplakat bildet dieser Slogan eine Zigarettenschachtel, über der sich ein Düsenflugzeug weltmännisch in den Himmel erhebt.

Immer wieder verbindet die Ausstellung Firmengeschichte mit Zeitgeschichte. Dabei wird aber auch deutlich, wie stark die Werbung auf den jeweiligen Zeitgeist reagiert hat. Ein in der Ausstellung dokumentiertes Beispiel ist die Kampagne, mit der Reemtsma 1987 der Marke "West" zum Durchbruch verhelfen konnte: Mit schrillem Humor in Szene gesetzte Plakate zeigten unter dem Motto "Test the West" merkwürdige Charaktere, die Rauchern West-Zigaretten anboten.

"Die Idee, skurrile Typen als Markenbotschafter einzusetzen, sorgte für erhebliches Aufsehen. Aber damit gelang es, die Marke als Ausdruck von Offenheit, Toleranz und Selbstbewusstsein zu inszenieren", meint Ausstellungskurator Stefan Rahner.

Werbewelten made in Hamburg. 100 Jahre Reemtsma 10.09.2010 bis 20.03.2011, Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, Mo 13.00-21.00, Di-Sa 10.00-17.00, So 10.00-18.00