Das Buddenbrookhaus stellt Franziska zu Reventlow als ungewöhnliche Künstlerin vor

Die Konventionen der Zeit, in die sie am 18. Mai 1871 im Husumer Schloss hineingeboren wurde, hat Franziska Gräfin zu Reventlow zeitlebens nicht akzeptiert. Statt sich mit der ihr zugedachten Rolle als adeliger Frau abzufinden, hat sie mit einer Radikalität, die für ihre Zeitgenossen oft verstörend war, ihre eigenen Lebensvorstellungen als Frau und Künstlerin durchzusetzen versucht. "Alles möchte ich immer", heißt ein für sie charakteristischer Ausspruch, der nun als Titel einer Ausstellung dient, mit der das Lübecker Buddenbrookhaus gemeinsam mit der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel, dem Museumsverband Nordfriesland Husum und dem Münchner Literaturhaus das Leben einer der außergewöhnlichsten Künstlerinnen der wilhelminischen Ära nachzeichnet.

"Franziska von Reventlow hat sich selbst stark stilisiert. Mit unserer Ausstellung wollen wir diesen bis heute wirksamen Mythos hinterfragen und das überlieferte Reventlow-Bild auf die Quellen zurückführen", sagt Holger Pils, der Leiter des Buddenbrookhauses. Das war nur möglich aufgrund der umfangreichen Recherchen, die die drei Ausstellungskuratorinnen Cornelia Küchenmeister, Dörte Nicolaisen und Ulrike Wolff-Thomsen in zahlreichen öffentlichen und privaten Archiven vorgenommen haben, stets mit dem Ziel, Fiktives von Realem zu trennen und dem Leben der Franziska Gräfin zu Reventlow auf die Spur zu kommen.

Natürlich bildeten Reventlows literarische Zeugnisse, wie der 1903 erstmals erschienene autobiografische Erstlingsroman "Ellen Olestjerne", den Ausgangspunkt der Recherchen. Hinzu kamen zahlreiche, oft bislang unbekannte Briefe, Einschätzungen Dritter, Tagebucheinträge, amtliche Zeugnisse und Dokumente, woraus sich schließlich jenes vielschichtige Bild ergibt, das die Ausstellung formt. Die aufwendig inszenierte Schau, die auf einer Fläche von etwa 200 Quadratmetern neben Kopien auch zahlreiche Originaldokumente sowie Kunstwerke präsentiert, ist chronologisch nach den wichtigsten Lebensstationen Husum, Lübeck, München und Ascona gegliedert.

Zur Enge und Strenge der Erziehung in der Husumer Kinderzeit schuf sie sich mit dem fantastischen Königreich Reharere einen spielerischen Gegenentwurf, der gewiss dazu beitrug, dass sie sich zeitlebens nach Husum zurücksehnte. Als der Vater, der preußische Landrat Ludwig Graf zu Reventlow, 1889 pensioniert wurde, zog die Familie in das vergleichsweise großstädtische Lübeck. Franziska, die zuvor von einem Mädchenpensionat im thüringischen Altenburg relegiert worden war, absolvierte nun ein Lehrerinnenseminar, traf sich im "Ibsen-Club" mit jungen kritischen Intellektuellen und schrieb ihrem Jugendfreund Emmanuel Fehling glühende Liebesbriefe. Als diese 1892 entdeckt wurden, verbannten die Eltern sie zu einer Pastorenfamilie in die Nähe von Flensburg. Ein Jahr später floh sie nach Wandsbek, wo sie den Juristen Walter Lübke kennenlernte, den sie später heiratete. Der Bruch mit der Familie war unausweichlich, Franziska ging 1895 nach München, um ein Leben in Freiheit zu führen. Sie besuchte eine Malschule, konnte aber als Malerin nie Fuß fassen, ihre eigentliche Begabung lag auf literarischem Gebiet.

Franziska schrieb Texte für Zeitungen, arbeitete als Übersetzerin, Aushilfsköchin, Glasmalerin und Sekretärin. Die Ehe mit Walter Lübke war schon 1897 geschieden worden. Bald hatte sie erkannt, dass es ihr oft unmöglich war, Liebe und erotisches Begehren in Einklang zu bringen. Zwar gewann sie als Autorin immer stärker an Profil, zugleich lebte sie aber stets am Rande der Armut, sodass sie sich prostituieren musste, um ihren und den Lebensunterhalt ihres 1897 geborenen unehelichen Sohnes Rolf zu bestreiten.

In der Schwabinger Boheme spielte die norddeutsche Skandalgräfin eine wichtige Rolle. Ihre männlichen Kollegen waren fasziniert von ihrer erotischen Attraktivität und sexuellen Freizügigkeit. Sie galt als "heidnische Madonna" oder als "Wiedergeburt der antiken Hetäre". In ihrem Roman "Herrn Dames Aufzeichnungen" hat sie das Leben in der Münchner Künstlerszene auf satirische Weise literarisch verarbeitet. 1910 verließ sie München, um nach Ascona zu ziehen. Sie starb 47-jährig am 26. Juli 1918 an den Verletzungen, die sie sich bei einem Fahrradunfall zugezogen hatte.

Die Ausstellung zeigt Franziska zu Reventlow als eine außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeit, die ihre Zeitgenossen vielleicht weniger mit ihren Bildern und Texten beeindruckte, als vielmehr durch ihr unangepasstes Leben als Frau, Geliebte, Mutter und Künstlerin. Ihre Lebensspanne deckt sich exakt mit der Ära des Wilhelminischen Kaiserreichs. Mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Lebensgefühl und ihren Glücksanspruch hätte sie weit besser in die 20er-Jahre gepasst.

"Alles möchte ich immer" - Franziska zu Reventlow 1871-1918 . 12.9. bis 21.11., Buddenbrookhaus, Mengstraße 4, 23552 Lübeck, Mo-So 10.00-18.00, Begleitband 24,90 Euro