Sportchef Bastian Reinhardt über seine neue Rolle

Zwei Wochen hatte er mit sich gekämpft. "Ich hatte mich gerade mit dem Gedanken abgefunden, zum Amt zu gehen, als der Anruf kam", erinnert sich Bastian Reinhardt, der nach der Saison 2008/2009 beim HSV aussortiert wurde und anschließend vertragslos war. Also arbeitslos. "Ich hatte nicht mehr mit einem Anruf vom HSV gerechnet." Schon gar nicht damit, dass sich in Folge einer (kostengünstigen) Geste des Klubs seine berufliche Zukunft entwickeln könnte.

Bis sein Mittelfußbruch auskuriert war, hatte der Verteidiger als "Praktikant" in viele Bereiche des Klubs hineingeschnuppert. "Vor der letzten Saison holte mich der HSV in erster Linie, weil ich nach meiner Verletzung noch von der Berufsgenossenschaft bezahlt wurde. Das war sogar vertraglich fixiert." In diesem Zusammenhang seien ihm romantische Gedanken fremd. "Aber es war der Anfang meines Lebens nach dem aktiven Profifußball."

Heute ist Reinhardt Sportchef. Bei seinem Verein, wie er selbst nach sieben Jahren beim HSV sagt. Allenfalls einen Standby-Vertrag als Profi hatte er noch im Sinn, als der 35-Jährige am 20. Mai einen Anruf vom Aufsichtsrat erhielt. Es ging um ein Kennenlerngespräch. "Damals hörte ich schon, dass es um den Posten des Sportchefs gehen sollte", erzählt Reinhardt. Allerdings hatte er geringe Hoffnung, sich durchzusetzen. Doch die Aufsichtsräte Jörg F. Debatin, Bernd Enge und Eckart Westphalen zeigten sich begeistert vom ehemaligen Abwehrspieler und ebneten dem einstigen BWL-Studenten den Einstieg ins Management. "Ich muss ehrlich sagen, ich war sehr schnell kein Spieler mehr", blickt Reinhardt zurück.

Nur an Anzüge hat er sich seither nicht gewöhnen können. Die Jeans in Kombination mit Hemd und Sakko sind Reinhardts stilistischer Kompromiss. Ein vollwertiger Sportchef ist er noch nicht. Kann er auch noch gar nicht sein, wie er selbst sagt: "Ich habe sicher einen großen Verantwortungsbereich, aber ich brauche schon noch gute Leute an meiner Seite, um alles kennenzulernen." Einer davon sollte Urs Siegenthaler sein, der dem HSV unmittelbar vor seinem Amtsantritt im August absagte, weil sich in den Verbänden gegen die angedachte Doppelfunktion beim HSV und dem DFB Widerstand regte. Nicht wenige vermuten, dass seitdem wieder der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann alle Entscheidungen in der Hand hält. Reinhardt wird in einigen Vereinskreisen als Marionette des mächtigen Hoffmann gesehen. Und Reinhardt weiß das. "Es ist es ziemlich schwer, gegen diese vorherrschende Meinung anzuarbeiten. Weil ich uns als Team verstehe und auch so arbeite. Andererseits muss ich mein eigenes Profil schärfen, damit es nach außen hin überhaupt auch so wahrgenommen wird."

Dennoch ist Reinhardt alles andere als verzweifelt. Im Gegenteil, er weiß, dass letztlich alles am sportlichen Erfolg gemessen wird. Und er zeigt sich optimistisch: "Wir haben einen sehr guten Kader zusammengestellt und wollen diese Serie erfolgreichen und attraktiven Fußball spielen." Dabei käme insbesondere das Manko des verpassten internationalen Wettbewerbs der Mannschaft zugute: "Ich habe es als Spieler selbst miterlebt, dass sich nach rund 50 Saisonspielen eine mentale Abnutzung einstellt. Das bleibt dieses Jahr definitiv aus, daher hoffe ich, dass wir einer guten Hinrunde endlich auch mal eine gute Rückrunde folgen lassen. Die Möglichkeiten dafür haben wir. Alle."

Schließlich sind alle Positionen doppelt sehr gut besetzt. Glaubt Reinhardt. Mit Armin Veh konnte zudem ein Trainer verpflichtet werden, der 2007 mit Stuttgart bewies, ein Team zum Meistertitel führen zu können. Im Gegensatz zu den Zugängen Dennis Diekmeier (Nürnberg), Jaroslav Drobny und Gojko Kacar (beide Hertha BSC), die mit ihren Klubs vergangene Serie enttäuschten, hat der neue Trainer das Sieger-Gen. Intern gilt die Champions League als klares Ziel. Nach außen wird geschwiegen. "Wir wollen oben mitspielen", formuliert Reinhardt entsprechend vorsichtig und gibt ein Versprechen ab: Sollte dabei ein Titel herausspringen, würde er sogar einen Anzug tragen. Für den einen Tag.