mit Propst Johann Hinrich Claussen. Warum es so schwer ist, barrierefrei zu sprechen

Wie sehr Worte verletzen können, obwohl man sie in bester Absicht gewählt hatte, zeigt sich immer dann, wenn man versucht, Menschen zu bezeichnen, die anders sind als die Mehrheit. Zum Beispiel Menschen, die mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen leben. Früher gab es für sie Namen, die wir fast schon vergessen haben. Zum Glück, denn ein unmenschlicher Umgang beginnt mit einer entmenschlichenden Sprache. So wurde der Begriff "Behinderte" einführt. Allerdings hatte dieser Fortschritt einen Nachteil. Wer als "Behinderter" bezeichnet wird, wird auf diese Eigenschaft festgelegt. Darum gibt es auch die Redeweise "Menschen mit Behinderungen". Denn "Behinderte" sind Menschen mit einer Fülle von Eigenschaften, von denen die Behinderung nur eine unter vielen ist.

Fortschritte werden leider schnell von der Wirklichkeit überholt. Es fällt Menschen eben leichter, sich Beleidigungen als eine Sprache des Respekts auszudenken. Wer einmal über einen Schulhof gegangen ist und gehört hat, wie ein Jugendlicher einem anderen ein "Ey, bist du behindert?!" entgegenbrüllt, dem kommt auch dieses Wort nicht mehr leicht über die Lippen. Darum wird nun empfohlen, es mit wieder einer neuen Sprachregelung zu versuchen: "Menschen mit Assistenzbedarf". Damit soll ausgedrückt werden, dass "Behinderte" Menschen sind, die lediglich besondere Formen der Hilfe brauchen. Aber das klingt so sozialtechnokratisch.

Zudem heißen Sekretärinnen seit einiger Zeit "Assistentinnen". Deshalb könnten sich bei "Menschen mit Assistenzbedarf" nun auch Chefs angesprochen fühlen. Das würde ihnen nicht schaden, aber es wäre nicht wirklich sachgerecht.

Was lehrt diese Wortkette? Es ist schwer, eine barrierefreie Sprache zu sprechen. Man muss es versuchen, aber auch nicht übertreiben. Denn die Worte allein machen es nicht. Es liegt mehr noch am Ton, der eine integrative Musik macht. Und damit ein Ton entsteht, in dem Aufmerksamkeit, Respekt und Zuneigung mitschwingen, braucht es mehr als semantische Erfindungen, sondern direkte Begegnungen. Von Jesus wird erzählt, dass er auf Kranke und Besessene direkt zuging. Deshalb brauchte er auch keine besonderen Begriffe für sie. Er nannte sie schlicht: "Meine Nächsten".